Magierdämmerung 01. Für die Krone - Perplies, B: Magierdämmerung 01 Krone
Küche vernahm er Schritte, und seine Hauswirtin tauchte in der Diele auf.
»Mister Kentham, was ist denn los? Was schreien Sie denn das ganze Haus zusammen?«
»Haben Sie meinen Wecker abgestellt?«, verlangte Jonathan zu wissen und hob anklagend das Corpus Delicti hoch.
Die grauhaarige Dame stemmte die Fäuste in die Hüften. »Ja, Mister Kentham, das habe ich getan.«
»Aber warum? Wollen Sie, dass ich meine Arbeit verliere?«
Misses Fincher schüttelte den Kopf. »Ach, papperlapapp. Arbeit verlieren. Ich habe längst einen Boten zum Strand geschickt, um Ihren Vorgesetzten, Mister Greenhough, davon zu unterrichten, dass Sie unpässlich sind und heute nicht zur Arbeit kommen können.«
»Unpässlich?«, wiederholte Jonathan ungläubig. »Aber ich fühle mich nicht …« Genau in diesem Augenblick überkam ihn der Schwindel. Jonathan wankte, blinzelte irritiert und musste sich am Endpfosten des Treppengeländers festhalten, um sich nicht auf höchst unelegante Weise auf den Hosenboden zu setzen.
»Unpässlich?«, fragte Misses Fincher mit hochgezogenen Augenbrauen und musterte ihn über den Rand ihrer Nickelbrille hinweg.
Jonathan biss die Zähne zusammen und richtete sich wieder auf. Er löste seine Hand vom Geländer und zog seinen Morgenmantel gerade. »Ganz recht«, verkündete er steif. »Und deshalb werde ich jetzt nach oben gehen und mich ankleiden, während Sie mir bitte das Frühstück bereiten. Anschließend werde ich zur Arbeit gehen und hoffen, dass ich Mister Greenhoughs Wohlwollen durch Ihre zweifellos wohlgemeinte, aber dennoch übereilte Tat nicht gänzlich verspielt habe.«
Misses Fincher seufzte. »Natürlich, Mister Kentham. Ihr Tee wird in fünf Minuten für Sie bereitstehen.« Sie warf ihm noch einen skeptischen Blick zu und verschwand danach kopfschüttelnd wieder in der Küche.
Kurz darauf saß Jonathan im Speiseraum des Hauses und schlang mit einer Hast, die eines Gentlemans unwürdig war, seinen Marmeladentoast hinunter, während er gleichzeitig so ungeduldig an seinem frisch aufgesetzten Earl Grey nippte, dass er sich beinahe den Mund verbrüht hätte. Unterdessen blätterte er rasch durch die Morgenausgabe der Times , halb in der Hoffnung, halb befürchtend, er könne irgendwo im Lokalteil eine Notiz über den Tod eines alten Mannes in einer schäbigen Seitengasse unweit des Fleischmarkts am Smithfield lesen.
Doch er fand nichts. Stattdessen erweckte ein anderer Artikel seine Aufmerksamkeit. »Vandalen verwüsten Fleischmarkt«, las Jonathan laut und runzelte die Stirn. Der Meldung zufolge waren irgendwann in der vergangenen Nacht mehrere Übeltäter in den Ostflügel des Fleischmarkts eingebrochen und hatten mit roher Gewalt mehrere Stände zertrümmert. Außerdem war eine Tür aus den Angeln gerissen und eine Gasleitung beschädigt worden. Schieres Glück – und die gute Durchlüftung der Halle – hatten verhindert, dass es zu einer fatalen Gasansammlung und Explosion gekommen war. Die Vandalen hatten jedoch nicht nur die Markthalle verwüstet. Kurioserweise hatten sie obendrein auch sechs der acht Greifenskulpturen gestohlen, die auf den beiden Ecktürmen der Osthalle gesessen hatten und die vom Erbauer des Marktes, Sir Horace Jones, als stumme Wächter aufgestellt worden waren. Die Ermittlungsbehörden standen vor einem Rätsel, wie es den Tätern gelungen sein mochte, die schweren Steinstatuen aus luftiger Höhe zu entwenden.
Jonathan schüttelte fassungslos den Kopf. Was war in der letzten Nacht dort nur geschehen? Irgendwie hatte er das dumpfe Gefühl, dass es zwischen den beiden Vorfällen einen Zusammenhang gab. Aber welchen? Gedankenverloren hob Jonathan erneut die linke Hand und betrachtete den Ring, der an seinem Finger steckte. Das allem Anschein nach aus Silber gefertigte Kleinod wies eine Inschrift auf, die, wenn Jonathan sich nicht täuschte, in altenglischen Runen abgefasst worden war. Er hatte keine Ahnung, was die Schriftzeichen bedeuteten. Dazu würde er wohl einen Historiker befragen müssen. An der Oberseite verbreiterte sich der Ring zu einem onyxfarbenen Oval, in das wiederum ein silberner Kreis eingelassen war, von dem mehrere unterschiedlich lange Linien, ähnlich wie Sonnenstrahlen, abgingen.
Ein Schauer lief Jonathan über den Rücken, und er versuchte den Ring abzustreifen. Er hatte kein Recht, das Schmuckstück zu tragen. Es fühlte sich an, als sei er ein Räuber, der sich gierig eine Trophäe aus einem frisch entdeckten Pharaonengrab
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