Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit
Eingang zu einer Höhle von anscheinend gewaltigen Ausmaßen. Um den Höhleneingang hatte man aus Holz eine sicher zwei Dutzend Meter hohe Torkonstruktion errichtet, die von seitlichen Metallgerüsten flankiert wurde. Die Gerüste dienten offensichtlich dazu, die beiden riesigen Torflügel zu führen, wenn diese aufgeschoben oder geschlossen wurden. Im Augenblick waren sie weit geöffnet, denn das Gefährt, das normalerweise wohl in der Halle versteckt wurde, befand sich gegenwärtig direkt davor in der Mitte des Tals.
Es handelte sich offensichtlich um eine Art Luftschiff, zumindest schwebte der bronzefarben glänzende Leib des Ungetüms mehr als ein halbes Dutzend Meter über dem steinigen Talboden. Doch damit endeten auch schon die Gemeinsamkeiten mit den gewöhnlichen Heißluftballons, wie Lionida sie kannte. Das unglaubliche Gefährt hatte die Dimensionen eines mittleren Straßenzugs. Lionidas Schätzung nach war der zigarrenförmige Schiffskörper mindestens zweihundert Meter lang und vielleicht dreißig Meter breit. Am Heck befanden sich vier mächtige Stabilisierungsflossen, außerdem waren jeweils zwei große Propellermotoren vorne, in der Mitte und hinten befestigt. Unter dem Ganzen hing eine lang gestreckte Gondel, aus der eine Batterie von Kanonentürmen und anderen seltsamen Apparaturen herausragte, und auf der gewaltigen Hülle prangte ein großes Kreuz, das Zeichen des Vatikans.
Ihre Kutsche hielt direkt neben dem Giganten an, und der Kutscher öffnete ihnen die Tür. Lionida stieg aus und hob den Blick. »Heilige Mutter Gottes!«, murmelte sie. »Was ist das denn?«
»Das, Signora, ist die Gladius Dei , das Schwert Gottes, die modernste und machtvollste Waffe der Welt«, ließ sich eine sonore Stimme in ihrem Rücken vernehmen.
Lionida drehte sich um und erblickte einen Mann von stattlicher Erscheinung, der sich ihnen von einer der Baracken näherte und der seinen prachtvollen grauen Schnauzbart mit ebensolchem Stolz zu tragen schien wie seine blaue, mit rotem Kragen und Schulterstücken verzierte Uniform. Er hatte eine schwarzblaue Schirmmütze auf, und an seiner Seite hingen ein Säbelgehänge und ein Revolver. Bei ihnen angekommen, schlug er zackig die schwarzen Stiefel zusammen und verbeugte sich. »Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle: Hauptmann Friedrich Wilhelm von Stein. Ich bin der Kapitän dieses Luftschiffes.« Wenn sein eigentümlicher Akzent Lionida nicht schon hätte aufhorchen lassen, so wäre ihr spätestens jetzt klar geworden, dass sie einen Offizier des Deutschen Kaiserreichs vor sich hatte.
Die Sache wurde immer verworrener. Was hatte ein deutscher Offizier in einem geheimen Lager inmitten der italienischen Alpen zu suchen, in dem sich – so waren zumindest seine Worte – die modernste Waffe der Welt verbarg, die obendrein allem Anschein nach im Dienste des Vatikans stand. Oder vielleicht nicht des Vatikans , kam es ihr in den Sinn. Vielleicht ist dies hier auch ein kleines Privatunternehmen von Castafiori … Wobei der Begriff klein angesichts der Ausmaße des Gefährts einer spektakulären Untertreibung gleichkam.
Sie beschloss, die Suche nach Antworten auf all ihre Fragen einstweilen aufzuschieben und stattdessen einfach erst einmal mitzuspielen. »Sehr erfreut«, sagte sie daher mit einem Lächeln. »Mein Name ist Lionida Diodato. Dies ist mein Begleiter, Signore Scarcatore.«
»Es ist mir eine Ehre«, verkündete von Stein.
Der Gelehrte grüßte mit einem Kopfnicken, bevor er sich an Lionida wandte. »Ich hoffe, Sie verstehen nun, weswegen ich nicht mehr als nötig verraten wollte. Diesen Anblick wollte ich nicht vorwegnehmen.«
»Ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich Ihnen Glauben geschenkt hätte, wenn Sie mir davon erzählt hätten«, erwiderte Lionida. »Wahrscheinlich hätte ich angenommen, Sie wollten sich einen Scherz mit mir erlauben.«
»Ich scherze nie.«
»Sie belieben zu scherzen.«
»Nicht einmal jetzt.«
Von Stein räusperte sich. »Vielleicht möchten die Herrschaften Ihre Unterhaltung im Salon weiterführen.« Er deutete auf die Gladius Dei . »Das Luftschiff ist betankt und bestückt. Sobald wir an Bord sind, können wir starten.«
Lionida stemmte die Hände in die Hüften und musterte das riesenhafte Gefährt. »Nun, das ist zweifellos das ungewöhnlichste Transportmittel, das ich jemals besteigen durfte, und ich frage mich, wie Monsignore Castafiori auf die Idee kommen konnte, mich in solch einem auffälligen Ungetüm auf eine
Weitere Kostenlose Bücher