Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit

darüber etwas in Aufregung geraten«, entgegnete Sedgewick.
    »Hm«, knurrte der Kutscher misstrauisch, aber da er keine unmittelbare Gefahr erblickte, ließ er den Vorfall auf sich beruhen, und sagte stattdessen nur: »Halten Sie lieber die Augen offen, statt sich in Gedanken zu verlieren. Sonst erleben wir nachher noch eine unangenehme Überraschung.«
    Der Magispector nickte. »Sie haben natürlich recht. Verzeihen Sie. Schlafen Sie jetzt weiter. Ich werde Sie nicht wieder stören.«
    Randolph brummte noch etwas Unverständliches und legte sich dann wieder hin, den bodenlangen Kutschermantel um sich geschlungen und die zerknautschte Mütze tief ins Gesicht gezogen.
    Sie müssen ein bisschen besser aufpassen, Arthur. Sie wollen doch nicht Ihre Gefährten um ihre wohlverdiente Nachtruhe bringen , vernahm Sedgewick McGowans Stimme erneut in seinem Kopf. Eine leichte Belustigung schwang darin mit, aber sie klang nicht böswillig.
    Ein Schauer lief Sedgewick über den Rücken. Mary-Ann hatte ihn zum ersten Mal überhaupt bei seinem Vornamen genannt. All die Jahre hatte er sich vergeblich – wenngleich, zugegeben, auch nur höchst zaghaft – darum bemüht, von ihr als Gleichberechtigter anerkannt zu werden. Doch es mussten offenbar erst die Welt und alle bestehenden Machtverhältnisse erschüttert werden, bis sie den Mann erkannte, der in ihm steckte. Möglicherweise mochte aus der ganzen Tragödie der letzten Tage doch noch etwas Gutes erwachsen.
    Erschrocken schüttelte Sedgewick den Kopf. Was denke ich denn da? , durchfuhr es ihn. McGowan ist eine Mörderin und Feindin.
    Die Stimme in seinem Kopf seufzte. Ich wünschte mir, Sie würden aufhören, die Dinge so schwarz und weiß zu sehen. Das passt nicht zu Ihnen. Sie sind ein Magispector und, wie es heißt, einer der Besten des Silbernen Kreises. Wenn es jemanden in den Reihen des Ordens geben sollte, der weiß, dass alles, was mit der Magie zu tun hat, aus einem unglaublich komplizierten Geflecht von Fäden besteht, dann wären das wohl Sie, oder nicht?
    Sedgewick spürte, wie ihm das Blut ins Gesicht stieg, aber er weigerte sich, McGowan so einfach recht zu geben. Dann erklären Sie es mir , forderte er sie auf. Erklären Sie mir, warum es nicht an Wahnsinn grenzt, die Wahre Quelle der Magie zu entfesseln. Erklären Sie mir, wieso Dunholm und Crowley und seine Frau sterben mussten.
    Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, und Sedgewick fragte sich bereits, ob es ihm tatsächlich gelungen sein könnte, die eloquente Miss McGowan um Worte verlegen zu machen, aber schon erklang ihre Stimme erneut in seinem Bewusstsein.
    Arthur, es gibt Dinge, die kann ich Ihnen nicht sagen, nein, darf ich Ihnen nicht sagen, denn sie sind so geheim, dass nur eine Handvoll Menschen davon Kenntnis hat. Würde ich sie Ihnen verraten, müsste ich Sie töten.
    Sie machen es sich ziemlich leicht , warf Sedgewick ein.
    Warten Sie! Ich war noch nicht fertig. Denn ich will dennoch versuchen, es Ihnen zu erklären, ohne meine Pflicht zur Verschwiegenheit zu verletzen. McGowan hielt kurz inne, bevor sie fortfuhr. Was wissen Sie über die Wahre Quelle der Magie?
    Sedgewick zuckte mit den Schultern. Nur das, was ich in der Kürze der Zeit in dem Werk von Professor Marazor nachlesen konnte. Es handelt sich um eine unglaublich starke Magiequelle auf einer Insel mitten im Atlantik, die von manchen mit dem Atlantismythos in Verbindung gebracht wird. Vor Tausenden von Jahren wurde sie verschlossen, um die Magie von der Erde zu verdrängen und ein Zeitalter der Ordnung einzuläuten. Die Insel versank im Ozean, die Magie schwand, und das Wissen um die Lage der Wahren Quelle ging verloren.
    Es ging nicht verloren , widersprach McGowan ihm. Man löschte es bewusst aus der Geschichte, denn keine Nation sollte jemals imstande sein, die Quelle wiederzufinden und unter ihre Kontrolle zu bringen. Ja, Sie haben richtig gehört: unter ihre Kontrolle zu bringen. Auch dieses Wissen wurde aus den Schriften getilgt. Es ist möglich, die Quelle einzudämmen, zu beherrschen und sich nutzbar zu machen.
    Sicher hat es einen guten Grund, dass keine Nation Macht über die Quelle haben sollte. Es würde das Gleichgewicht der Kräfte in Gefahr bringen , meinte Sedgewick.
    Auf ihrem Bettlager aus Säcken lachte McGowan leise. Sie hatten ihr den Knebel zum Schlafen nicht wieder angelegt, ihr aber eingeschärft, dass sich dieser Umstand sofort ändern würde, wenn sie anfing zu schreien. Bislang hatte sie sich vollkommen