Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit
Magispector gar nicht, dass hier etwas nicht so war, wie es sein sollte. Dann setzte sein Herz regelrecht aus, und seine Augen weiteten sich. Irgendwie war es McGowan gelungen, ihre Fesseln zu lösen! Er wollte etwas sagen, doch die Worte verwandelten sich in einen erschrockenen Aufschrei, denn unvermittelt grub die Magierin ihre Zähne in seinen Hals, Zähne, die länger und spitzer waren, als sie eigentlich hätten sein dürfen. Ein heißer Schmerz flammte auf.
Sedgewick zuckte heftig zusammen. »Was …?«, gurgelte er entsetzt und versuchte, sich von McGowan loszureißen. Es gelang ihm nicht, denn die Magierin schien auf einmal unglaubliche Kraft entwickelt zu haben. Mit eisernem Griff hielt sie ihn an sich gepresst, während sie gleichzeitig in gierigen Schlucken das Blut trank, das aus seiner aufgerissenen Halsschlagader sprudelte.
Sie ist ein Vampir , durchfuhr es Sedgewick. Bei allen Heiligen, McGowan ist ein Vampir! Und sie hat mich betrogen. Sie hat mich in allem betrogen, nur um zu fliehen. »Hören Sie auf!«, rief er, wand sich und zerrte, um seine Arme freizubekommen und auf das Ungeheuer in Frauengestalt einzuschlagen, auf diesen Dämon, der ihn verführt hatte, um anschließend über ihn herzufallen. Aber er spürte, dass ihm die Kraft fehlte. Er vermochte nicht gegen sie anzukämpfen. Der Schock und der unvermittelte Blutverlust forderten ihren Preis. Sedgewick wurde schwindlig, und die schwarzen Ränder einer Ohnmacht krochen in sein Blickfeld. »Nein …«, flehte er. »Warum … tun Sie das?«
McGowan löste sich von seinem Hals und nahm ihren Kopf zurück, wobei das Tuch, das Randolph ihr um die Augen gebunden hatte, wie von selbst abfiel. Ihre Lippen waren rot von Sedgewicks Blut, und vereinzelte Rinnsale zogen sich ihr Kinn hinab. Mit Augen, in denen weder Dankbarkeit noch Reue lag, sondern nur die Gier eines Raubtiers, blickte sie ihn an. »Es muss sein«, eröffnete sie ihm und entblößte dabei ihre unnatürlich langen Eckzähne. »Ich brauche Ihr Blut, um leben zu können. Und ich will leben, um Wellington zu dienen.«
»Aber … ich dachte …« Sedgewick blinzelte. Ihm wurde immer schwindliger. Seine Muskeln fühlten sich seltsam kraftlos an, und seine Gedanken entglitten ihm wie Gestalten, die im dichten Nebel davongingen.
»Dass ich etwas für Sie empfinden würde? Dass ich Sie gar lieben könnte?« Sie beugte sich wieder zu ihm herab und flüsterte: »Es tut mir leid, Arthur. Ich habe gelogen.« Dann zuckte ihr Kopf wieder nach unten, und ihre Zähne bohrten sich erneut in die bereits offenen Wunden.
Schwärze legte sich vor Sedgewicks Augen, und sein Widerstand erschlaffte. Eine überwältigende Trauer überkam ihn. Er hatte vollständig versagt. Seine verhängnisvolle Liebe zu der falschen Frau hatte Crowley und seine Angetraute getötet. Nun würde er selbst sterben. Und nur Gott wusste, wen McGowan noch alles umbringen würde, nachdem sie entkommen war. Es tut mir leid, Randolph. Ich habe Sie enttäuscht …
Mit diesem Gedanken schwand ihm das Bewusstsein.
Ein zufriedenes Lächeln auf den blutverschmierten Lippen, ließ Mary-Ann McGowan den schlaffen Leib Arthur Sedgewicks zu Boden gleiten. Endlich! Endlich hatte sie wieder die Oberhand. Nach dem dringend nötigen Blutmahl fühlte sie sich so stark, lebendig und erfrischt wie schon seit Tagen nicht mehr. Ich sollte das in Zukunft häufiger machen , dachte sie.
Bislang hatte sie den als schauerliche Nebenwirkung ihrer magischen Verjüngung in regelmäßigen Abständen auftretenden Blutdurst so selten wie nur irgend möglich gestillt. Es war nicht leicht, willige Spender zu finden, die bereit waren, ein so grausiges Bedürfnis zu befriedigen, und die Jagd nach Opfern in den Straßen Londons war ein Geschäft, das McGowan als einer Dame nicht würdig ansah. Eine Weile lang hatte sie sich junge, skrupellose Ärzte als Liebhaber gehalten, denen sie ihr Bedürfnis nach Blut als bizarre Obsession verkauft hatte. Deren Schweigen sowie zahlreiche zur Ader gelassene Patienten hatte sie mit körperlichen Gefälligkeiten vergelten müssen – so lange, bis sie begonnen hatte, sich vor sich selbst zu ekeln, und ihre Gönner einer nach dem anderen bedauerlichen Unfällen zum Opfer gefallen waren. Zuletzt war sie auf Einbrüche in Krankenhäuser und gelegentliche Morde an Glücklosen angewiesen gewesen, die höchstwahrscheinlich niemand vermissen würde, der hinreichend Leumund besaß, um eine Polizeiermittlung anzustoßen. Es war ein
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