Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit
denn wenn Sie Ihre Absicht, ungestört mit mir ins Gespräch zu kommen, noch länger herauszögern, macht Ihnen die Rückkehr von Mister Brown und Grigori nachher noch einen Strich durch die Rechnung. Deswegen haben Sie die beiden anderen Männer doch ziehen lassen, oder? Damit wir beide ungestört sind …«
Der Magispector räusperte sich. Es war ihm etwas unangenehm, dass McGowan seine Absichten so leicht erraten hatte. »Es stimmt«, gab er nichtsdestoweniger zu. »Ich wollte noch einmal mit Ihnen reden, Ihnen sagen, dass ich über Ihre Worte von heute Nacht nachgedacht habe.«
»Und zu welchem Schluss sind Sie gekommen?« McGowan neigte fragend den Kopf. Braunes Haar glitt zur Seite und entblößte die anmutige Linie ihres Halses.
Langsam ging Sedgewick auf sie zu. In seinem Inneren rangen Sehnsucht und Pflichtbewusstsein miteinander. »Es … tut mir leid«, sagte er. »Ich kann mich Ihnen nicht anschließen. Es mag sein, dass Lordmagier Wellington die Wahre Quelle in bester Absicht geöffnet hat. Aber seine Mittel sind falsch. Die Morde an Lordmagier Dunholm, an Mister Crowley und seiner Frau und vielleicht noch weiteren Magiern zeugen davon, dass er die Macht, die er entfesselt hat, nicht weise, sondern skrupellos nutzen wird. Wenn es zudem wirklich stimmt, dass die Quelle auch bei anderen Nationen Begehrlichkeiten geweckt hat, hätte ihr Standort niemals verraten werden dürfen. Dadurch, dass das Geheimnis, das alle schützte, gelüftet wurde, droht jetzt viel unmittelbarer ein Krieg zwischen den Magierorden der großen Reiche als zuvor, als sich alle zwar belauerten, aber niemand Grund genug hatte, einen offenen Kampf zu suchen. Diesen Grund hat Lordmagier Wellington durch sein Handeln geliefert. Man sollte also das Ganze nicht noch schlimmer machen, indem man versucht, die Quelle zu beherrschen, sondern vielmehr danach trachten, sie zu zerstören oder wenigstens wieder zu verschließen. Da ich hingegen nicht annehme, dass ich Sie von der Notwendigkeit einer solchen Vorgehensweise überzeugen kann, werde ich Ihnen nicht helfen. Das Wohl der ganzen Erde wiegt schwerer als das Wohl einer Nation, einer Gruppe von Menschen oder gar eines Einzelnen.«
Sedgewick erwartete halb, dass McGowan aufbrausen und ihn als Feigling, Ignoranten und Schwachkopf beschimpfen würde. Doch zu seinem Erstaunen presste sie nur kurz die Lippen zusammen und nickte danach. »Ich verstehe«, sagte sie, und es schien aufrichtige Trauer in ihrer Stimme mitzuschwingen. »Ich hatte gehofft, Sie würden anders entscheiden.« Sie seufzte. »Was wird nun aus mir?«
Sedgewick setzte sich zu ihr auf einen der Stühle, legte den Revolver in den Schoß und kratzte sich am Kopf. »Ich weiß es nicht. Es liegt in Mister Browns Ermessen. Aber wenn meine Stimme in dieser Sache auch nur ein wenig Gewicht hat, lassen wir Sie frei, sobald wir die anderen Magier gerettet haben.«
»Sie sind ein wahrer Gentleman, und Sie beschämen mich, denn ich war Ihnen gegenüber nicht so anständig«, sagte McGowan. Nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Umso mehr danke ich Ihnen für Ihre Großmut. Sie können sich kaum vorstellen, wie entwürdigend es für eine Dame ist, dergestalt gefesselt zu sein, gezwungen, im Dreck zu schlafen, und hungernd …« Sie brach ab, offenbar unfähig weiterzusprechen.
Der Magispector spürte, wie eine plötzliche Welle des Mitgefühls in ihm aufbrandete. Mary-Ann hatte ja so recht. Wie konnte ein Mann, der noch einen Funken Ehre im Leib hatte, mit einer Frau so umgehen? »Oh, Mary-Ann, es tut mir leid, dass wir Ihnen all das zumuten. Die Fesseln kann ich Ihnen nicht nehmen, das müssen Sie verstehen. Aber hungern sollen Sie nicht! Wieso haben Sie nichts von dem Frühstück angenommen, dass wir Ihnen angeboten haben?«
Ein Hauch von Zorn schlich sich in den Tonfall der Magierin. »Gefüttert wie ein Tier, von der Hand dieses ungehobelten Kutschers? Lieber möchte ich sterben.«
Sedgewick schluckte. Er hatte ganz vergessen, wie stolz McGowan war. Sie war die Grande Dame des Silbernen Kreises, lebte auf Augenhöhe mit Männern wie John Grayson Carlyle, Lord Cheltenham und, bis vor Kurzem, Thomas Crowley. Natürlich musste es unter ihrer Würde sein, ein Almosen von einem Arbeiter wie Mister Brown anzunehmen. »Würden Sie …« Er stockte und setzte dann erneut an. »Würden Sie von mir etwas annehmen? Es ist niemand da, der es mitbekommen würde, und ich versichere Ihnen meine vollste Diskretion.«
Freudige
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