Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit
Betäubung loswerden, den kleinen Kopf schüttelte. Anschließend hob sie den Blick und starrte Grigori vorwurfsvoll aus unergründlichen gelbgrünen Augen an.
»Tut mir leid«, sagte der Russe und zuckte mit den Schultern. »Ist besser so.«
Er beugte sich vor und untersuchte den blutenden Magispector. Seine Züge nahmen einen bekümmerten Ausdruck an, als er feststellte, dass er keinen Puls mehr spürte. Angesichts der hässlichen Blutlache, die sich um Sedgewicks Haupt gebildet hatte, hätte ihn das auch verwundert. Ihr Gefährte war tot.
Umgebracht von diesem Weib , dachte Grigori düster und wandte seine Aufmerksamkeit wieder McGowan zu. Er kniete sich neben ihr nieder und musterte ihr blutverschmiertes Gesicht. Mit zwei Fingern schob er ihre halb geöffneten Lippen auseinander und brachte die spitzen Eckzähne zum Vorschein. Ein Grollen drang aus seiner Kehle, und er bekreuzigte sich. »Tochter des Teufels«, stellte er fest.
McGowans Lider flatterten, und es machte den Eindruck, als erlange sie bereits das Bewusstsein zurück.
Mit finsterer Entschlossenheit packte der Russe den Kopf der Magierin mit beiden Händen. Ihre Arme zuckten, als wolle sie sie zu einer Abwehrgeste heben. Doch sie war zu schwach und zu langsam. Mit einem Ruck riss Grigori ihren Kopf herum und brach ihr das Genick.
Schwer seufzend ließ er sich neben den beiden toten Leibern auf den Boden sinken. Mit trüben Augen sah er die Geisterkatze an, die noch immer drei Schritt entfernt saß. »Nicht guter Tag«, sagte er, von dumpfer Trauer erfüllt. »Nicht guter Tag.«
22. April 1897, 13:20 Uhr GMT (14:20 Uhr Ortszeit)
Italien, einige Kilometer südlich von La Spezia, auf dem Weg von Florenz nach Mailand
Vor dem Fenster des Zugabteils zog die blühende Landschaft der Toskana vorbei. Zu ihrer Linken lag die Küste des Ligurischen Meeres, dessen Glitzern und Funkeln von der Bahnstrecke aus allerdings nur gelegentlich durch die Pinien und Zypressen, die am Wegesrand wuchsen, zu sehen war. Rechter Hand erhoben sich in einigen Kilometern Entfernung die Vorberge der Apuanischen Alpen. Gelegentlich durchquerte ihr Zug kleine Seebäder. Die meiste Zeit über aber fuhren sie an den Weinbergen und Olivenhainen der toskanischen Bauern vorbei.
Lionida Diodato, die durch eine filigrane Brille mit kreisrunden, gelblich getönten Gläsern nach draußen starrte, hatte keinen Blick für die Schönheiten des Landes. Das war keineswegs immer so. Sie liebte Florenz und hatte auch schon mehr als einen Sommer am Tyrrhenischen Meer verbracht. Aber gegenwärtig war sie so müde, dass ihr idyllische Weinberge und Pinienwäldchen herzlich gleichgültig waren. Außerdem plagte sie ein bohrender Kopfschmerz, der von einer viel zu kurzen Nacht herrührte. Kaum vier Stunden Schlaf waren ihr vergönnt gewesen, bevor sie bereits gegen halb sechs in der Frühe zum Aufbruch gezwungen gewesen war.
Sie hatte sich für zweckmäßige Reisekleidung und nur leichtes Gepäck, bestehend aus zwei Koffern, entschieden, da sie nicht darauf hoffen durfte, die Widerstandskämpfer des Silver Circle auf Londoner Bällen und Empfängen anzutreffen. Außerdem hatte Castafiori ihr bereits am Abend zuvor eröffnet, dass sie zunächst eine Zugreise nach Mailand unternehmen würde, bevor sie in ihr eigentliches Transportmittel nach England umstieg, und ohne hilfreiche Bedienstete ließen sich Schrankkoffer in Zügen furchtbar schlecht mitführen.
Als die Kutsche des Officiums eingetroffen war, um Lionida zum Bahnhof Roma Termini zu bringen, hatte sie überrascht festgestellt, dass sie nicht alleine reisen würde. Ein schweigsamer Mann mit den blassen Gesichtszügen eines Bürokraten hatte bereits in der Kutsche gesessen. Der schwarzen Soutane nach, die er trug, war er ein Priester, aber mehr als seinen Namen, Emilio Scarcatore, hatte sie ihm bislang nicht entlocken können. Allerdings hatte sie sich auch kaum Mühe gegeben, denn an dem Mann war nichts, das sie interessiert hätte, sah man vielleicht von einem kleinen Koffer ab, der trotz seiner geringen Größe erstaunlich massiv wirkte und den Scarcatore mit einer Kette an seinem Handgelenk befestigt hatte. Auf ihre Nachfrage hin hatte ihr Begleiter nur gesagt, dass es sich um sein Gepäck handele.
Von Rom aus waren sie mit dem Zug nach Florenz gefahren, wo sie gegen Mittag eingetroffen waren, nur um eine knappe Stunde später einen zweiten Zug zu besteigen, der sie zunächst westwärts zur Küste und dann über Pisa, Massa und La
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