Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit
Halle vielleicht offen sein könnte, sondern packte die beiden Torflügel und riss sie mit einem Brüllen auf den Lippen und magisch verstärkter Kraft gewaltsam auseinander.
Krachend brach ein innen vorgelegter Riegel, und das Tor flog schwungvoll auf. Hyde-White wartete nicht darauf, dass seine Leute ihm nachkamen, sondern drang sofort in das Zwielicht der Lagerhalle ein.
Das Erste, was ihm auffiel, war, dass das Fuhrwerk, von dem Crandon berichtet hatte, nicht da war, das Zweite, dass sich in der Halle keine Menschenseele aufzuhalten schien. Seine Klauen schlossen und öffneten sich unwillkürlich, während er mit raschen Schritten das aufgegebene Warenlager durchmaß und in der Wahrsicht die Schatten zwischen den wenigen Kistenstapeln am Rand der Halle durchsuchte.
Durch eine Hintertür stürmten Crandon und seine Mitstreiter herein, doch sie hielten überrascht inne, als sie die Lage erkannten.
»Dort liegt jemand!«, rief einer von Hyde-Whites Männern aufgeregt und deutete auf eine Stelle unweit eines Aufenthaltsbereichs mit einem Tisch, Stühlen und einem Ofen.
Die Magier kamen zusammen, und auf den Mienen von Hyde-Whites Gefolgsleuten zeichnete sich Erschütterung ab, als sie die blutbesudelte Leiche von Mary-Ann McGowan auf dem Boden vorfanden.
»Dieser Mistkerl Brown hat sie umgebracht«, knurrte Crandon. »Eine wehrlose Geisel!«
Hyde-White war sich nicht so sicher, wie unschuldig McGowan an ihrem Ableben gewesen war. Hätte er die Zeit und das Interesse aufbringen können, die Blutspuren im Staub und im Gesicht der Magierin genauer zu untersuchen, wären möglicherweise bemerkenswerte Erkenntnisse zutage getreten. Doch im Grunde spielten die Umstände ihres Todes keine Rolle. Viel schwerer wog, dass sich außer der toten Magierin niemand sonst an diesem Ort aufhielt.
»Wir kommen zu spät«, stellte Hyde-White düster fest. »Wir haben sie verpasst.« Wütend schlug er mit einem Arm gegen einen Stützbalken, der daraufhin brach und einen Teil des löchrigen Daches über ihren Köpfen zum Einsturz brachte. Während Staub und Ziegelstücke prasselnd auf seinen stählernen Helmschädel herabfielen, schloss Hyde-White die Augen und wünschte sich, irgendjemanden umbringen zu können.
Draußen vor der Lagerhalle fing es an zu regnen, und ferner Donner grollte in den Wolken.
22. April 1897, 17:34 Uhr GMT
England, London, Basinghall Street
Wie eine schwere graue Decke hatten sich die Wolken über London herabgesenkt, und dann hatte der Himmel seine Schleusen geöffnet. Ein Schauer ergoss sich über die Dächer und Straßen der Stadt, und aus dem Westen näherten sich Blitz und Donner in einer für diese Jahreszeit ungewohnten Heftigkeit. Wer konnte, floh in eines der Häuser, und wer unbedingt draußen unterwegs sein musste, eilte mit hochgeklapptem Mantelkragen und tief ins Gesicht gezogenem Hut die Bürgersteige entlang, nur an sein Ziel denkend und ohne Blick für das, was links und rechts um ihn geschah. Niemand achtete auf das offene Fuhrwerk mit seinen zwei Kutschern und den fünf, von einem löchrigen Segeltuch bedeckten Kisten auf der Ladefläche, das sich einem in jeder Hinsicht unauffälligen Gebäude gegenüber der Guildhall näherte.
Mit einem Zügelzug brachte Randolph das Gefährt vor dem mehrstöckigen Haus zum Stehen, holte tief Luft und blickte zu Grigori hinüber, der neben ihm auf dem Kutschbock saß. Da wären wir also. Jetzt gibt es kein Zurück mehr …
Dass sie beide überhaupt noch frei und am Leben waren, hatten sie alleine Nevermore zu verdanken. Aufgeregt krächzend war der Rabe mitten in ihre Vorbereitungen geplatzt und hatte sie davor gewarnt, dass eine Kutsche voller Magier von der Guildhall in Richtung Hafenanlagen aufgebrochen war. Randolph hatte im Stillen alle Magispectoren des Ordens verflucht, denn er nahm an, dass sie von einem der Magiebeobachter des Silbernen Kreises erspäht worden waren. Dann hatten sie in aller Eile die Pferde angespannt und ihr Versteck an den St. Katherine Docks aufgegeben. Allein McGowan hatten sie zurückgelassen – in der Hoffnung, dass der Fund der toten Magierin ihre Verfolger eine Weile beschäftigen würde.
Um ihren Häschern nicht zu begegnen, hatten sie die Themse überquert und waren anschließend am südlichen Flussufer entlang bis zur Blackfriars Bridge gefahren. Von dort hatten sie den Weg zur St. Pauls Cathedral genommen. Während Grigori und die sich zwischen den Kisten verbergende Watson die beiden Kutschen bewacht
Weitere Kostenlose Bücher