Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit
zu drastischen Maßnahmen zu greifen.« Randolph ließ zu, dass sich der junge Magier von ihm löste und langsam auf den großen Holzschrank im hinteren Bereich des Raumes zuging, in dem einige der Ordensmitglieder ihre Mäntel aufbewahrten, wenn sie sich in der Unteren Guildhall aufhielten. »Ich spaziere in den Schrank …«, wiederholte Randolphs Gegenüber mit dünner Stimme. »Und dann bleibe ich dort, bis Sie mich wieder herauslassen. Das ist vollkommen in Ordnung für mich. Ich leiste keinen Widerstand. Sehen Sie, Sir?« Der junge Magier öffnete die Schranktür, schob die wenigen gegenwärtig dort aufgehängten Mäntel beiseite und stieg ins Innere. »Alles ist gut.« Er schloss die Tür.
Randolph grinste selbstzufrieden. Manchmal hatte es seine Vorteile, dass der Silberne Kreis beinahe ausschließlich aus blassen Akademikern und verhuschten Bürokraten bestand. Über die Schulter hinweg wandte er sich an Grigori. »Du kannst kommen!«
Eine Kiste links und eine rechts unterm Arm eilte der Russe herbei. Randolph durchquerte unterdessen den Raum und begab sich den linken Flur hinab zu der Stelle, wo sich rechts die Tür in den Keller befand. Vorsichtig öffnete er sie und lauschte in die Tiefe. Es war nichts zu hören. Niemand kam die geheime Treppe herauf, die dort unten ihren Anfang nahm und in einem gemauerten Tunnel unter der Basinghall Street hindurch zu den Räumlichkeiten des Ordenshauptquartiers führte.
»Schnell, Grigori. Bring die Kisten hier herüber! Ich trage sie dann in den Keller, während du die nächsten zwei holst«, befahl Randolph dem Russen. Damit standen ihm vier von fünf Kisten zur Verfügung. Die letzte würde Grigori mitnehmen.
»Ist gut«, antwortete dieser und stellte seine Fracht vor Randolph ab, bevor er sich umdrehte und wieder nach draußen verschwand.
Randolph hob eine der beiden Kisten hoch, nahm sie unter den Arm und hastete die Stufen in den Keller hinunter. An einigen Regalen mit alten Geschichtsbüchern und verstaubten Korrespondenzmappen vorbei lief er zur Rückwand des allem Anschein nach als Geschäftsarchiv dienenden Raumes und ließ dort seinen Ballast zu Boden sinken. Anschließend eilte er wieder hinauf, um die nächste Kiste zu holen.
Als Randolph das zweite Mal die Kellertreppe nach oben nahm, war Grigori schon wieder da und erwartete ihn. »Ich gehe«, ließ der Russe den Kutscher wissen.
»In Ordnung«, erwiderte Randolph mit einem Nicken. »Ich wünsche dir und Watson viel Glück. Wir sehen uns später am vereinbarten Treffpunkt.« Er schlug dem Russen kameradschaftlich auf den Rücken, und dieser schenkte ihm ein zuversichtliches Grinsen. Beide Männer wussten, dass das, was sie vorhatten, vollkommen verrückt war und die Wahrscheinlichkeit, dass sie beide dabei umkamen, mindestens ebenso hoch wie die Aussicht auf Erfolg. Aber Randolph hatte sich noch nie für Wahrscheinlichkeiten interessiert. Und er würde ganz sicher jetzt nicht damit anfangen, seinen eigenen tolldreisten Plan zu hinterfragen.
Während Grigori verschwand, um sich durch einen Geheimgang seinen Weg in die Untere Guildhall zu erschleichen, kehrte Randolph in den Keller zurück, wo er seine Kisten abgestellt hatte. Er wechselte in die Wahrsicht und machte die zwei Fadenschlaufen ausfindig, die aus dem Regal an der Rückwand des Raums herausragten. Mit sanftem Zug ließ er das Möbelstück zur Seite schwingen und enthüllte eine zweite, noch weiter abwärts führende Steintreppe. Er schob die Kisten zwischen zwei Regale, damit sie von einem zufällig Vorbeikommenden nicht sofort entdeckt wurden, dann öffnete er sie und nahm mit einem grimmigen Lächeln die Dynamitstangen heraus.
Damit, Wellington, dürften selbst Sie nicht rechnen …
22. April 1897, 17:43 Uhr GMT
England, London, geheime Hallen des Ordens des Silbernen Kreises
Als Jonathan erwachte, hatte er seltsame Bilder im Kopf. Er erinnerte sich an üppige grüne Wiesen in den Schottischen Highlands, an ein kleines Dorf unweit von Inverness, Dochgarroch, an Bruchstücke einer seltsamen Nacht draußen auf dem Loch Ness, über dessen dunklen Fluten ein helles, gelbliches Licht getanzt war, und an einen Mann, der die Züge des Ersten Lordmagiers Albert Dunholm trug, aber deutlich jünger war. Es sind Drummonds Erinnerungen , erkannte Jonathan voll stummer und leicht entrückter Faszination.
Doch diese Faszination hielt nur wenige Herzschläge vor, denn mit der Rückkehr seines Bewusstseins in den Wachzustand stellten sich auch
Weitere Kostenlose Bücher