Magierdämmerung 02 - Gegen die Zeit
gedrängten Reihenhäusern. Keine Menschenseele verirrte sich dorthin, wo zwischen Lagerhallen und hohen roten Klinkermauern, die Fabrikgelände einschlossen, der durch Creek’s Mouth verlaufende Fluss Barking Creek in die Themse mündete. Und wäre jemand zufällig in die Nähe gekommen, wäre er von Herren in schwarzen Mänteln freundlich, aber bestimmt in eine andere Richtung gewiesen worden. Niemand störte die Verladearbeiten, die im Gange waren, seit Wellington mit der Nautilus an einem der Piers angelegt hatte, die jahrhundertelang als Heimathafen für Londons im nahen Barking angesiedelte Fischereiflotte gedient hatten, bis die Eröffnung von direkten Eisenbahnverbindungen zu den Nordseehäfen an der englischen Küste das Betreiben eines Fischereihafens so weit die Themse hinauf unrentabel gemacht hatte.
Victor Mordred Wellington stand am Ufer und beobachtete stumm, wie seine Anhänger gerettete Wertsachen aus der Unteren Guildhall, Proviant und die verbliebenen Gefangenen an Bord des Tauchboots schafften, das leise schnaubend im dunklen Wasser des Flusses lag und die Menschen, die in seinem Bauch ein und aus gingen, geduldig gewähren ließ.
Seit es in den gewaltigen Ausbruch der Wahren Quelle der Magie geraten war, hatte die Nautilus ein bizarres Eigenleben entwickelt. Die Körper und die Lebensenergie seiner Besatzung mit seinen eigenen, stählernen Eingeweiden verschmelzend, hatte es sich von einer fischartig konstruierten Maschine in einen unheimlichen Hybriden verwandelt, der einerseits ein grauhäutiges, an einen gepanzerten Wal erinnerndes Ungetüm, andererseits nach wie vor ein Transportmittel war. Genau wie im Falle von Wellingtons Adlatus Hyde-White hatte die Magie mit chaotischer Brillanz neues Leben geschaffen, auch wenn die Verwandlung in diesem Fall die Leben der Besatzung gekostet hatte, deren schwache Seelen nach der Transformation schreiend vergangen waren, bevor sie in einem größeren, dumpferen, animalischeren Bewusstsein wiedergeboren worden waren.
Wellington trauerte den Opfern nicht nach. Es hatte nicht in seiner Absicht gelegen, den Industriellen und Multimillionär Charles Gordon Bennett und seine Männer umzubringen. Genauso wenig hatte er Melissa Esperson, seine junge, bezaubernde Mitarbeiterin und gelegentliche Gespielin verlieren wollen. Aber genau genommen hatten ihre letzten Endes unbedeutenden Leben durch die Verwandlung nur an Wert gewonnen, denn die erwachte Nautilus hatte eine Kraft und Schnelligkeit bewiesen, die Wellingtons kühnste Vorstellungen übertroffen hatten. Allerdings hatte auch eine latente Wildheit in ihrem triebgesteuerten Wesen gelegen, die in geordnete Bahnen zu lenken der Lordmagier auf der Rückreise nach England erst hatte lernen müssen. Mittlerweile beherrschte er das Tauchboot hingegen so gut, dass es auf seine Befehle hörte wie ein gut abgerichteter Hund – ein sehr großer und für andere Hunde , sprich Schiffe, extrem gefährlicher Hund.
Die Anwesenheit seines Besuchers kündigte sich mit nicht viel mehr als einem feinen Zupfen im Fadenwerk an. Als Wellington sich umdrehte, sah er die dunkle Gestalt des Franzosen einige Schritte hinter sich stehen. Er trug einen bodenlangen Mantel mit weiten Ärmeln, und der hohe, auch vorne geschlossene Kragen sowie sein breitkrempiger Hut verbargen sein Gesicht fast vollständig. Wenn der Attentäter überrascht war, dass Wellington seine Anwesenheit bemerkt hatte, so zeigte er es genauso wenig wie der Lordmagier seine Verblüffung über dessen Fähigkeit, sich an sein Ziel anzuschleichen. Wäre er ein geringerer Magier gewesen, hätte er den Jäger vermutlich erst wahrgenommen, wenn dieser ihm schon die Hand auf die Schulter gelegt hätte.
»Ein nettes magisches Spielzeug haben Sie da.« Die Stimme des Franzosen war ein Flüstern in der Dunkelheit, als der Magierjäger an Wellingtons Seite trat und aus dem Schatten seines Hutes auf das Tauchboot blickte.
»Nicht eben ein Spielzeug«, erwiderte der Lordmagier. »Aber mir gefällt es auch. Ich bin erstaunt, Sie wiederzusehen. Man trug mir zu, Sie wären bei einem Zugunglück ums Leben gekommen.«
Der Franzose schnaufte abfällig. »Diese Gerüchte sind stark übertrieben. Aber sie nützen mir mehr als dass sie mir schaden. Daher können wir es einstweilen gerne dabei belassen.«
»Wie Sie wünschen.« Wellington warf einen kurzen Blick über die Schulter und hob dann die Augenbrauen. »Wie haben Sie uns gefunden, wenn ich fragen darf?«
»Es ist mein
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