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Magierdämmerung 03 - In den Abgrund

Magierdämmerung 03 - In den Abgrund

Titel: Magierdämmerung 03 - In den Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Perplies
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erreichte er das Gebäude, das ihm der Italiener empfohlen hatte. Es war in der Tat das am höchsten aufragende weit und breit. Wovoka musste den Kopf in den Nacken legen, um an der hellen, fast zwanziggeschossigen Steinfassade emporblicken zu können, die von altertümlich wirkenden Säulen und Rundbögen geziert wurde. Auf dem Dach erhob sich eine laternenförmige Spitze aus dunklerem Material, über der natürlich auch eine amerikanische Fahne in der frischen Morgenbrise wehte. Manhattan Life Insurance stand auf einer Bronzeplakette neben dem Eingang, und Männer in grauen und schwarzen Anzügen trafen alleine oder in kleinen Gruppen ein, um ihre Arbeit anzutreten. Wovoka seufzte leise. Selbst wenn er sich für normale Augen unsichtbar machte, war es praktisch unmöglich, unbemerkt innerhalb des Gebäudes bis zum Dach zu gelangen. Es gab hier einfach zu viele Menschen! Er sah sich also gezwungen, den beschwerlicheren Weg außen an der Hauswand hinauf zu nehmen.
    Wovoka ging ein paar Schritte die Straße auf und ab, um das Bauwerk aus mehreren Blickwinkeln in Augenschein zu nehmen und nach einer geeigneten Aufstiegsmöglichkeit zu suchen. Dabei fiel ihm auf, dass es u-förmig angelegt war und an der Südseite einen schmalen offenen Lichthof aufwies. Die beiden obersten Stockwerke waren durch eine kupferfarben glänzende Metallbrücke verbunden, die sich über den Lichthof spannte. Das sieht gut aus, entschied der Paiute-Seher.
    Als er den Blick wieder senkte, um eine geeignete Nische zu finden, wo er seinen Zauber wirken konnte, bemerkte er einen alten Mann mit grauen Haaren und dunkler Hautfarbe, der mit einem Eimer und einem Besen in der Hand soeben das Gebäude der Manhattan Life Insurance verließ. Vielleicht geht es doch einfacher, dachte er.
    Wovoka überquerte die Straße und trat auf den Mann zu. »Verzeihung, arbeiten Sie hier?«
    Der Alte musterte den Paiute-Seher mit einer Mischung aus Verblüffung und Misstrauen. Offensichtlich hatte er nicht damit gerechnet, mitten in New York einem Indianer zu begegnen, ganz gleich, ob der Geburtstag von General Grant anstand oder nicht. »Ja, Sir, das tue ich«, bestätigte er nickend.
    »Dann könnten Sie mir womöglich einen Gefallen erweisen«, fuhr Wovoka fort. »Ich komme aus Nevada und besuche zum ersten Mal diese aufregende Stadt. Man sagte mir, dies hier sei das höchste Gebäude von New York, ja sogar des ganzen Landes. Die Aussicht von dort oben muss einzigartig sein. Ich würde sehr gerne einen Blick vom Dach werfen. Meinen Sie, dass Sie mir hierbei behilflich sein könnten?« Er zog etwas Bargeld aus der Tasche und ließ es in seiner Hand klimpern.
    Das Misstrauen des Alten wollte nicht aus dessen Gesicht weichen. »Dadurch könnte ich meine Arbeit verlieren. Fremde sind hier nicht erlaubt.«
    »Ich dachte, in diesem Gebäude werden Versicherungen verkauft?«, entgegnete Wovoka ruhig. »Setzt das nicht voraus, dass ab und zu Fremde darin verkehren?«
    »Aber nicht auf dem Dach.«
    Der Paiute ließ sich von diesem Einwand nicht beeindrucken. Mit sanfter Gewalt nahm er dem Alten den Besen ab und drückte ihm die Münzen in die schwielige Hand. »Ich werde keinen Ärger machen, das verspreche ich Ihnen. Ich werde Ihnen wie ein Schatten nach oben folgen, dann nur einen kurzen Blick vom Dach werfen und danach sofort wieder das Gebäude verlassen.«
    Sein Gegenüber warf einen nachdenklichen Blick auf das Geld in seiner Hand. Dem Ausdruck seiner Miene nach zu urteilen konnte er es gut gebrauchen. Wovoka zweifelte nicht daran, dass er nachgeben würde. Und er sollte recht behalten. »Einverstanden. Aber Sie halten sich direkt neben mir und sprechen niemanden an, dem wir begegnen!«
    »Ich werde schweigen.«
    Der Alte nickte. »Dann nehmen Sie mal den Eimer und den Besen, Sir. Sie sind der neue Aushilfskehrer, und ich zeige Ihnen Ihre Arbeitsstelle. Mein Name ist übrigens Horatio, Horatio Washington.«
    Wovoka bezweifelte, dass das der Geburtsname des Alten war, aber er selbst wusste am besten, dass es für gewisse Bevölkerungsgruppen der Vereinigten Staaten nötig war, sich weiße Namen zuzulegen, um mit den heutigen Herrschern über dieses Land verkehren zu können. »Jack Wilson«, antwortete er daher und lächelte, während er neben dem Besen, den er ohnehin bereits in der Hand hielt, auch den Eimer ergriff.
    Der Alte erwiderte das Lächeln. Er hatte verstanden, dass sie ungeachtet ihrer völlig unterschiedlichen Herkunft eines verband: Im Grunde waren sie

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