Magierdämmerung 03 - In den Abgrund
versteckte sich doch im Grunde vor sich selbst, wenn er mit seinem kleinen Affen in der verräucherten Kammer hockte, die er Zuhause nannte.
An seiner Seite gab Rupert ein Niesen von sich. Dann strampelte der Minialligator ein wenig mit den Hinterbeinen, um sich tiefer in der Stofftasche zu verkriechen, in der Jonathan ihn bei sich trug, wann immer es möglich war. »Du hast ganz recht«, murmelte Jonathan, während er seinen Blick über die dunklen Holzplanken, die Masten und die Takelage gleiten ließ. »Es ist ungemütlich hier draußen. Wir gehen gleich wieder hinein. Ich möchte nur ein paarmal tief durchatmen.« Er kraulte das ausgestopfte Tier am ledrigen Schädel und entlockte ihm damit ein leises Krächzen.
Jonathan machte ein paar Schritte aufs Deck hinaus, und erst jetzt bemerkte er die zuvor vom Mast verdeckte einsame Gestalt, die in ein graues Kapuzencape gehüllt vorne am Bug stand. Kendra! Er ging über die knarrenden Holzbohlen und gesellte sich zu ihr. »Guten Morgen. Was machen Sie denn hier draußen?«
Die junge Frau wandte den Kopf und blickte ihn aus Augen an, die von dunklen Ringen gezeichnet waren. Sie konnte in der letzten Nacht nicht viel geschlafen haben, auch nicht, nachdem sie einander auf dem Gang begegnet waren. »Ich starre in den Nebel und suche nach einem helleren Flecken, der etwas Sonnenschein verheißen könnte.«
Jonathan seufzte. »Ich verstehe, was Sie antreibt, aber ich glaube, diese Suche wird vergeblich sein.«
Kendra richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf den weißen Dunst. »Warum macht er das?«
»Diesen Zauber mit dem Nebel? Der Holländer?« , hakte Jonathan nach. Er zuckte mit den Schultern. »Um sich und seine Mannschaft zu schützen. Er erzählte doch, dass die Magieinquisition ihn verfolgt.«
»Ach kommen Sie, Jonathan.« Kendra bedachte ihn mit einem verdrossenen Seitenblick. »Glauben Sie das tatsächlich? Der Ozean ist groß und weit. Es sollte diesem Holländer leichtfallen, sich irgendwo zu verstecken und jedem Schiff aus dem Weg zu gehen, das am Horizont auftaucht und droht, seinem Geheimnis auf die Spur zu kommen.« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, mir kommt es so vor, als ob er sich an all das Grau in seinem Leben einfach gewöhnt hat. Er hat seinen Namen abgelegt und sich vor der Welt zurückgezogen. Schön, er mag den zuvorkommenden Gastgeber spielen, aber ich habe das Gefühl, als wäre er uns lieber heute als morgen wieder los. Er hüllt sich in seine Trauer und seine Einsamkeit wie in einen alten, abgetragenen Mantel.«
Jonathan blinzelte verblüfft. Er hätte nicht vermutet, dass Kendra ähnliche Gedanken durch den Kopf gehen könnten wie ihm. »Womöglich haben Sie recht. Aber es ist nicht an uns, ihn dafür zu verurteilen. Wir wissen nicht, was genau ihm in der Vergangenheit widerfahren ist. Vielleicht hat er allen Grund, die Menschheit zu meiden.«
»Ja, vielleicht«, murmelte Kendra. Sie schwieg einen Moment, bevor sie fortfuhr: »Wussten Sie, dass er über hundert Jahre alt ist?«
»Wann hat er Ihnen das denn verraten?«
»Gestern Nacht.«
»Als Sie auf Deck waren, um frische Luft zu schnappen?«
»Genau.«
»Oh.« Damit hatte Jonathan nun nicht gerechnet. Andererseits hatte er schon in der Nacht den Eindruck gehabt, dass etwas nicht ganz stimmte. Kendra hatte irgendwie verstört gewirkt, aber nachdem sie sein Hilfsangebot zurückgewiesen hatte, wäre er nicht auf den Gedanken gekommen, weiter nachzubohren. Ungewollt stiegen Erinnerungen an die Legende vom Fliegenden Holländer in seinem Inneren auf. War es nicht so gewesen, dass nur das Opfer einer Jungfrau ihn von seinem Fluch erlösen konnte? Ich werde Sie im Auge behalten, Kendra. Dieses Schiff hat schon genug Menschen unglücklich gemacht. »Was hat er noch zu Ihnen gesagt?«, wollte er wissen.
»Nicht viel. Er wollte, dass ich ihm von meiner Heimat erzähle. Er scheint sich kaum noch daran zu erinnern, was für ein Gefühl es ist, festen Boden unter den Füßen zu haben. Danach habe ich versucht, etwas mehr über ihn zu erfahren, aber er gab sich sehr einsilbig.«
»Passen Sie auf, Kendra«, warnte Jonathan sie. »Wir wissen so gut wie nichts über diesen Holländer. Es könnte gefährlich sein, sich auf ihn einzulassen.«
»Er war ein Freund meines Großvaters«, gab Kendra zurück. »Ist das nicht Beweis genug, dass man ihm trauen kann?« Ungeachtet der rhetorischen Natur ihrer Frage wirkte sie jedoch selbst nicht ganz überzeugt.
»Wir können nur raten, welcher Art
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