Magiermacht (Mithgar 05)
riss erstaunt die Augen auf. »Sie erzählen eine Geschichte? Ich sehe nur jemanden in einem Hain, der eine Rede hält.«
»Oh nein, Herr Beau«, widersprach Talarin. »Schaut genauer hin, ich bitte Euch.«
Tipperton und Beau standen auf und traten dichter an die Teppiche heran. Schließlich stieg Beau auf eine Bank und Tipperton auf einen Stuhl, damit sie die Wandteppiche genauer betrachten konnten.
»Meiner Treu!«, stieß Beau schließlich hervor. »Das sind keine Menschen, sondern …« Er schüttelte verwundert den Kopf und wandte sich an Talarin. »Was genau sind sie?«
»Lichtwesen?«, schlug Tipperton vor und berührte vorsichtig die hellen Farben eines Seidengobelins.
Beau schaute auf die Gestalt, die Tipperton berührte, und musterte dann die anderen. »Sie sehen tatsächlich aus wie Lichtgestalten, Tip«, meinte er.
Verwirrt drehte er sich erneut zu Talarin herum. »Aber ich dachte, dass die Götter eher wie …«
»Wie wir aussehen?«, vervollständigte Talarin die Frage. »Eine Gestalt haben wie Lian und Waerlinga und Menschen?«
Beau zuckte mit den Schultern.
Talarin schüttelte lächelnd den Kopf. »Trotz dem, was einige Eiferer predigen, ist es der größte Irrglauben anzunehmen, wir alle wären nach dem Ebenbild der Götter erschaffen.«
Tipperton fuhr erneut mit dem Finger über einen Wandteppich. »Und diese hellen Lichtwesen sind Götter?«
Talarin neigte den Kopf. »Allerdings, Herr Tipperton«, antwortete Phais, die neben Loric saß. »Das hier ist der beste Versuch der Elfenkünstler, die große Debatte zwischen Gyphon und Adon darzustellen, bei der es um das Schicksal der Wesen aller Welten ging. Was Ihr hier als Lichtwesen bezeichnet, sind unsere Versuche, die Götter zu zeigen. In der Mitte und in silbriges Weiß gehüllt steht Adon. Neben ihm findet sich seine Tochter, die goldene Elwydd. An der gegenüberliegenden Wand seht Ihr Gyphon, den Hohen Vûlk. Die blassblaue Gestalt an der Stelle, wo Ihr steht, ist Garion, neben ihm befindet sich die kupferfarbene Raes, die rote Fyrra weilt hier, und neben ihr der dunkle Theonor. Ich will sie nicht alle aufzählen, sondern Euch nur sagen, dass dies den Moment der Spaltung abbildet.«
»Dann sind das wirklich die Götter?« Beau ließ seinen Blick über die Wandteppiche gleiten.
Talarin, Rael und Loric schauten sich an, dann richteten sie ihre Blicke auf Phais. »Wir mögen sie Götter nennen«, erklärte sie. »Doch Adon selbst sieht sich nicht so. Er meint, dass es Wesen gibt, die weit über ihm stehen, so wie wir über einer Eintagsfliege.«
Die Bokker kletterten von den Stühlen herunter und setzten sich wieder hin. Tipperton runzelte die Stirn. »Aber wenn sie keine Götter sind, was sind sie dann?«
Talarin seufzte. »Nach dem, was Adon gesagt hat, wissen wir das nicht genau, Herr Tipperton. Wir wissen nur, dass sie sehr mächtig sind.«
»Aber …« Beau war wie vor den Kopf geschlagen und starrte die Gobelins an. »Ich meine …« Er schaute kurz an die Decke und richtete seinen Blick dann auf Talarin. »Sagt, wer ist das, der über Adon steht?«
Diesmal antwortete Rael. »Adon sagt, dass er ebenfalls vom Schicksal geführt wird. Doch ob das Schicksal eine Gestalt hat, können wir nicht sagen. Ebenso wenig wissen wir, ob jemand über dem Schicksal steht. Allerdings behaupten manche, dass der Große Schöpfer der Höchste wäre.«
»Der Große Schöpfer?«
»Der Quell allen Seins.«
Tipperton fuhr mit der Hand durch die Luft. »Aber ich dachte, Adon hätte Mithgar erschaffen, und Elwydd, seine Tochter, hätte das Leben hinzugefügt.«
»So wie Gyphon die Neddra schuf und das Leben und die Völker dort, so verdreht sie auch sein mögen«, knurrte Loric.
Phais hob die Hand. »Einige von uns glauben, dass Adon und Elwydd und Gyphon und die anderen die Welten und Lebewesen und all das keineswegs aus dem Nichts schufen, sondern dass sie nur formten und bildeten, was der Große Schöpfer ihnen gab.«
Tipperton sah sie erstaunt an. »Ihr meint, so wie ich eine Pfeife aus einem Stück Holz schnitze, das ich nicht selbst habe wachsen lassen, oder wie Ihr einen Teppich aus einem Garn webt, das Ihr nicht selbst gesponnen habt?«
»Ihr habt es erfasst«, stimmte Phais ihm zu.
Beau wandte sich verwirrt an Rael. »Dieser Große Schöpfer, wer ist das? Wenn Er alles geschaffen hat, warum hat Er dann auch das Böse gemacht? Das würde ich wirklich gern wissen.«
Rael schüttelte den Kopf. »Ihr fragt nach etwas, was jenseits meines
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