Magische Insel
irgendwie nicht überrascht.
Justen schüttelte traurig den Kopf. »Wieder einmal zeigt sich deutlich, woher du stammst.«
»Aber …«
»Nirgendwo sonst schickt man die Besten unausgebildet und unerprobt hinaus, um ihren Weg in einer Welt zu finden, die sie entweder missachtet oder vernichten will.«
»Vernichten?«
»Jawohl, vernichten! Du stammst von Recluce, dieser wunderschönen, abgeschirmten und mächtigen Insel. Dieses Inselvolk hat jede feindliche Flotte beschämt, jede Herausforderung verächtlich zunichte gemacht und sich geweigert, außerhalb seiner Grenzen irgendeine Verantwortung zu übernehmen.«
»Aber …«
»Nein … Es ist nicht deine Schuld – jedenfalls noch nicht –, und deshalb will ich dir helfen, Lerris. Zumindest kann ich dann jemandem die Schuld geben, wenn Recluce weiterhin die Welt missachtet. Das heißt aber nicht, dass der arme Justen etwas dagegen tun könnte.«
»Haltet ein«, protestierte ich. »Euch gibt es seit zwei Jahrhunderten, und Ihr lasst Antonin diese Taschenspielertricks vorführen, ohne je den Stab zu heben oder ein Wort zu sagen. Warum? Wie könnt Ihr Recluce die Schuld geben? Oder mir?«
Der Graue Magier seufzte. »Soviel Potential und so viel Unwissenheit … Wo – wo nur – soll ich anfangen?« Er lenkte Rosenfuß näher zu Gairloch.
Weiter vorn mündete der schmale Pfad in eine breite Straße, die jedoch tiefe Querrinnen aufwies.
»Ist das die Hauptstraße?«
»Ja, aber der nächste geeignete Rastplatz kommt erst nach zwei Meilen. Ich werde versuchen, deine Fragen zu beantworten … solange ich dazu imstande bin.«
Jetzt nahm ich einen Schluck aus der Feldflasche, die an Gairlochs Sattel hing, und blickte nach allen Richtungen. Die Straße war leer wie die meisten in Candar an einem Winternachmittag. Ich wickelte mich fester in den Umhang. Der Wind blies kräftiger und hatte die dünne, lockere Schneeschicht weggefegt. Im Osten Candars fiel nur leichter, trockener Schnee, der nicht lange liegenblieb. Ganz anders in den Höhenzügen der Westhörner, wo im Winter der Schnee so hoch lag, dass er sogar die Nadelbäume zur Hälfte unter sich begrub.
»Obwohl du aus Recluce kommst, weißt du, dass es Ordnung gibt und Chaos. Weiße Magier arbeiten mit Chaos, Schwarze mit Ordnung. Und die Grauen Magier bemühen sich, das Beste von beidem zu nutzen, und werden daher von Schwarzen und Weißen Magiern äußerst misstrauisch beäugt.«
»Weiß bedeutet Chaos, aber warum?«
»Lerris, stell dich nicht dümmer, als du bist!« Justen seufzte. »Weiß ist die Kombination aller Farben des Lichts. Schwarz ist rein, weil jegliches Licht fehlt.«
Das war ja ein Hammer! Seltsam, dass niemand das je erwähnt hatte – jedenfalls erinnerte ich mich nicht daran. Ich nickte, um Justen zum Weitersprechen zu ermuntern. Wir hatten jetzt den alten Pfad von Fairhaven – oder Frven – verlassen und waren wieder auf der richtigen Straße. Ich sah im kalkähnlichen Staub Hufspuren, die einen Tag oder zwei Tage alt sein mochten.
»Das Problem bei der Weißen und der Schwarzen Magie liegt darin begründet, dass beide begrenzt sind. Die meisten Weißen Magier sind auch ein bisschen grau. Niemand kann mit reinem Chaos umgehen – jedenfalls niemand, der nach dem Fall Frvens geboren wurde. Es gibt eine Reihe Schwarzer Magier. Ich vermag dies aufgrund ihrer Handlungen zu erkennen, doch ein wahrhaft guter Schwarzer Meister kann nicht entdeckt werden, wenn er es nicht will.«
Offensichtlich machte ich ein ungläubiges Gesicht.
»Das liegt an der Begrenztheit. Gut … stell es dir folgendermaßen vor: Bei zuviel Chaos gerät selbst die innere Ordnung deines Körpers in Unordnung. In gewisser Weise geschieht das, wenn man alt wird. Alle Weißen Magier sterben jung – und je mächtiger sie sind, desto jünger sterben sie. Es sei denn, sie wechseln in einen anderen Körper über – wie Antonin.«
»Den Körper wechseln? Aber wie?« Ich klang wie ein Dummkopf, und ich hasste es, als Dummkopf zu gelten. Doch Justen beantwortete mir wenigstens ein paar Fragen – mehr, als der alte Kerwin es je getan hatte.
»Er hat eine Übereinkunft mit mehreren … Herrschern der Region getroffen. Er leistet gewisse Dienste und erhält dafür den Körper eines zum Tode Verurteilten. Jetzt ist er im fünften Körper, aber ich bezweifle, dass er einen weiteren Wechsel überlebt.« Justen brach ab und blickte auf die Straße, als wolle er eine Entfernung abschätzen. Er schwankte leicht im Sattel und
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