Magische Verführung
den Mauern ihrer Hochhäuser die Hoffnung aufgegeben hatten.
Deshalb sind wir auch die Herrscher über die Welt.
Energisch schüttelte Tamsyn den Kopf. Die Fremde hatte unrecht. Die Medialen herrschten, aber ihre Welt war auf Türme aus Glas und Stahl beschränkt. Nichts wussten sie von den Freuden, bei Vollmond durch die Wälder zu jagen und dem Wind zu lauschen, das Fell eines Rudelgefährten auf der nackten Haut zu spüren und das ursprüngliche Leben im Wald zu erleben.
Aber in einer Hinsicht hatte die Frau recht: Wie sollte man etwas vermissen, das man nie kennengelernt hatte?
Nathan hatte ihr noch nie gehört. Ihre Leoparden mochten sich vor Sehnsucht nacheinander verzehren, aber wenn Nathans menschliche Seite den Bund ablehnte, was sollte sie schon dagegen tun?
Am nächsten Tag verließ Tamsyn das Rudel. Es gab einfach keinen anderen Ausweg. Wenn sie in Nathans Nähe blieb, dann würde ihn die Raubkatze früher oder später doch umstimmen. Und den Gedanken, dass er womöglich nur mit ihr ins Bett gehen würde, weil die Katze ihn dazu drängte, konnte sie nicht ertragen. Das wäre ihre ganz private Hölle.
Ihr Freund Finn kam gerne. Es machte ihm auch nichts aus, dass sie ihm so kurzfristig Bescheid gesagt hatte.
»Der Heiler unseres Rudels ist noch nicht mal vierzig. Für mich gibt es die nächsten Jahre nichts Großes zu tun«, verriet er ihr, als sie ihn vom Flughafen abholte, um ihn in das Territorium der DarkRiver-Leoparden zu geleiten.
Das Rudel war nicht gerade für seine Gastfreundschaft gegenüber Fremden bekannt. Nach dem Angriff der ShadowWalker-Wölfe konnten sie sich das auch nicht mehr leisten.
»Ich weiß«, erwiderte sie. »Deshalb habe ich ja auch dich und nicht Maria gefragt.«
Er lächelte, doch seine Augen blickten wachsam. »Finde ich ehrlich nett.«
Ihm lag eine Frage auf den Lippen, aber Tamsyn ignorierte sie. »Ich stelle dich erst einmal unserem Alpha vor. Er weiß selbstverständlich, dass du kommst, aber die Rangordnung muss gewahrt werden.« Die Rangordnung hatte ihre Berechtigung, schuf sie doch ein gesundes Gegengewicht zu ihrer Raubtiernatur.
Finn nickte. »Ich habe ein besseres Gefühl, wenn er mich erst mal in euer Rudel aufgenommen hat. Wäre ja ziemlich blöd, wenn einer deiner Rudelgefährten Hackfleisch aus mir macht, bloß weil er mich für einen Eindringling hält.«
Tamsyn sah das genauso, also schleppte sie ihn zuallererst zu Lachlan. Trotz dieser Verzögerung war sie schon am Spätnachmittag aufbruchsbereit. »Gib gut auf mein Rudel acht, Finn!«
Dieses Mal hielt der einundzwanzigjährige Heiler mit seinen Sorgen nicht hinterm Berg. »Was ist mit dir, Tam?
Wer kümmert sich um dich?«
»Ich komm schon klar.« Sie krampfte die Hände um die Riemen ihres Rucksacks. »Du weißt, dass es vielleicht für immer ist?«
»Ja.« Er strich ihr mit der Hand übers Haar, spendete Trost auf Gestaltwandlerart. »Aber so sollte es nicht sein! Du bist die auserkorene Heilerin der DarkRiver-Leoparden.«
»Ich kann auch bei einem anderen Leopardenrudel arbeiten.« Doch Nate war für ihr Rudel unersetzlich, vor allem, da Lachlan offenbar wollte, dass Lucas schon recht bald die Rolle des Alphas übernahm. Wenn es so weit war, wäre Lucas auf Nathans Erfahrung und seinen Rat angewiesen. »Versuch dein Glück hier«, presste sie hervor.
»Wenn alles klappt...«
»Keine Eile«, sagte Finn sanft. »Ich halte hier die Stellung, bis du dich wieder besinnst. Dann werde ich diesem Dschungel hier freudig den Rücken kehren und in die zivilisierte Welt meines Rudels zurückgehen.«
Sie schmunzelte über seine witzige Bemerkung, doch als sie endlich ging, hatte sie das beklemmende Gefühl, es sei ein Abschied für immer. Als sie die Tanne mit dem Weihnachtsschmuck und den Lichterketten erreichte, schossen ihr die Tränen in die Augen. »Verzeih mir, Shayla!«, rief sie dem Geist ihrer Mentorin zu, der sie zum Bleiben mahnte, wo das Rudel sie doch brauchte.
Sie kommen auch ohne mich klar, redete Tamsyn sich ein. Schließlich hatte sie die Weichen gestellt, damit sich das Rudel von dem Trauma des Überfalls erholen konnte, nun konnte nur noch die Zeit die Wunden heilen. Sie war versucht, schnell an der geschmückten Tanne vorbeizulaufen, doch sie zwang sich, noch einmal aufzuschauen. Da hing die Kugel, die Vaughn bemalt hatte, gleich neben der von Cian. Ringsum wandte sich die Lichterkette, die Nate aufgehängt hatte. Und da war auch der Stern, dem sie ihm vor Wut fast an den
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