Magisches Erbe
von ihr erhalten, Sie heute später rauszulassen.« Sie setzte eine entschuldigende Miene auf. »Ich bin mir sicher, dass alles seine Richtigkeit hat, aber Regeln sind nun mal Regeln.«
»Natürlich«, sagte ich. »Aber sie meinte, sie würde Ihnen Bescheid geben. Sind Sie sich sicher, dass Sie nichts bekommen haben? Eine Notiz? Einen Anruf?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nichts. Tut mir leid.«
»Ich verstehe«, murmelte ich, obwohl ich mir dessen nicht sicher war. Trotz ihrer ständigen Zerstreutheit war in diesen Dingen normalerweise Verlass auf Ms Terwilliger. Mrs Weathers versicherte mir, dass sie mich gehen lassen würde, wenn Ms Terwilliger telefonisch das Okay gab, daher ging ich in mein Zimmer zurück und versuchte, sie anzurufen. Ich wurde direkt auf die Mailbox umgeleitet, und meine SMS blieb unbeantwortet. Ob ihr etwas zugestoßen war? War es schließlich doch zu dieser magischen Konfrontation gekommen, vor der mir gegraut hatte?
Während der nächsten Stunde oder so tigerte ich durch mein Wohnheimzimmer, während die Sorgen an mir nagten. Veronica. Marcus. St. Louis. Ms Terwilliger. Der Traum. Wieder und wieder stellte ich mir für jedes Problem den schlimmsten Ausgang vor. Gerade als ich dachte, dass ich verrückt werde, beantwortete Ms Terwilliger endlich meinen Anruf.
»Warum waren Sie nicht da?«, fragte sie, sobald ich abnahm. Ich war erleichtert. Sie war in den Park gefahren. Das erklärte den fehlenden Kontakt, da es da draußen kein Signal gab.
»Ich habe es versucht! Mrs Weathers wollte mich nicht hinauslassen. Sie haben vergessen, mir die Erlaubnis zu erteilen.«
»Ich habe ganz bestimmt nicht …« Ihre Worte verloren sich in einem unsicheren Ton. »Das heißt, ich dachte, ich hätte es getan …«
»Ist schon gut«, sagte ich. »Sie haben viel auf dem Herzen gehabt.«
»Es ist nicht gut.« Sie klang wütend, aber ihre Wut galt ihr selbst, nicht mir. »Ich muss die Kontrolle bewahren.«
»Na ja, Sie können Mrs Weathers jetzt noch anrufen«, meinte ich.
»Zu spät. Ich bin schon wieder zu Hause. Wir werden es ein andermal versuchen müssen.«
»Tut mir leid«, sagte ich. »Ich habe es versucht.«
Ms Terwilliger seufzte. »Ich weiß, dass Sie das getan haben. Es ist nicht Ihre Schuld. Es ist meine. Ich lasse mich von dieser ganzen Sache zermürben, und jetzt werde ich langsam nachlässig. Ich bin um Ihretwillen schon zu viele Risiken eingegangen, und das hat Veronica auf Ihre Spur gebracht. Weiter darf ich sie nicht kommen lassen.«
Ein Frösteln überlief mich, als ich an diese Mädchen dachte, die im Koma lagen – und an die Möglichkeit, zu ihnen zu gehören. Ich hatte es während der Nachforschungen geschafft, kühl und gefasst zu bleiben, aber der Traum der vergangenen Nacht hatte mir klargemacht, mit welchen Gefahren ich es zu tun hatte. Das Bild des Mädchens in der Zeitung stand mir vor Augen, während ich das Telefon festhielt und in meinem Zimmer auf und ab ging. Ich blieb vor einem Spiegel stehen und versuchte, mich selbst so zu sehen, gealtert vor meiner Zeit. Ich kniff die Augen zu und wandte mich ab. Ich durfte nicht zulassen, dass mir das geschah. Es durfte einfach nicht geschehen, und ich brauchte Ms Terwilliger, wenn ich in Sicherheit bleiben wollte. Ich mochte vielleicht ein Wunderkind sein, aber ich war nicht annähernd dazu in der Lage, es mit jemandem wie ihrer Schwester aufzunehmen.
»Versuchen Sie zu schlafen, Ma’am«, sagte ich schließlich. »Sie klingen so, als hätten Sie es ziemlich nötig.«
»Ich werde es versuchen. Und Sie sind vorsichtig, Ms Melbourne.«
»Das werde ich sein.«
Vorsichtig zu sein war im Moment das Einzige, was ich allein tun konnte. Ich hoffte nur, dass es auch genügen würde.
Als wir auflegten, wollte ich nicht wieder schlafen. Ich hatte Angst davor, und das war nicht nur wegen des schieren Grauens, das ich in dem Traum der vergangenen Nacht empfunden hatte. Ms Terwilliger hatte mir erklärt, dass es eine Art von Suchzauber gäbe, der Menschen im Schlaf aufspürte, und ich hatte Angst, Veronica würde vielleicht meinen Aufenthaltsort erkennen, wenn sie wieder nach mir griff. Das Problem war, dass ich nach der unruhigen Nacht jetzt noch erschöpfter war. Meine üblichen Kaffee- und Ablenkungstricks versagten, und bevor ich noch recht wusste, wie mir geschah, war ich eingeschlafen.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit verstrich, bevor ich zu träumen begann. In einem Moment war ich im Nichts des Schlafes verloren. Im nächsten
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