Magisches Erbe
ich heuchelte Enttäuschung darüber, dass ich schon gehen musste. In Wirklichkeit konnte ich gar nicht schnell genug aus diesem Gebäude herauskommen. Er fuhr mich zum Flughafen und plapperte unaufhörlich von dem nächsten Mal, wenn wir uns sehen würden. Ich lächelte und nickte an den richtigen Stellen, erinnerte ihn aber daran, dass unsere Arbeit Vorrang habe und mein Posten besonders zeitaufwendig sei. Er war offensichtlich enttäuscht, konnte die Logik aber nicht leugnen. Das größere Wohl der Alchemisten ging vor. Besser noch, er versuchte nicht noch einmal einen dieser schrecklichen Küsse – schlug aber vor, dass wir einen Zeitpunkt für einen Videochat vereinbaren sollten. Ich sagte ihm, dass er mir ja mailen könne, und schwor insgeheim, dass ich keine einzige Nachricht von ihm öffnen würde.
Ich entspannte mich erst, als das Flugzeug abhob und das Potenzial für einen Überfall der Alchemisten nur noch ziemlich gering zu sein schien. Ich war schon so paranoid, dass ich Angst hatte, am Flughafen von Palm Springs könne eine Gruppe auf mich warten, aber jetzt hatte ich erst mal einige Stunden Ruhe.
Ich hatte angenommen, dass ich Marcus den Stick aushändigte und es dabei beließ. Doch nun war er in meinem Besitz, und meine Neugierde gewann die Oberhand. Ich musste diesem Rätsel auf den Grund gehen. War dieser Z. J., der die Alchemisten besucht hatte, tatsächlich Master Jameson?
Mit frischem Kaffee in der Hand öffnete ich die Datei auf meinem Laptop und sah mir die Aufzeichnung an.
Selbst mit einem Bild pro Sekunde zog sich die Aufnahme ewig hin. Meistens sah man nichts als einen ruhigen Checkpoint, und am spannendsten wurde es, wenn die Wachleute wechselten oder Pause machten. Zahlreiche Alchemisten gingen ein und aus, aber im Verhältnis zur gesamten Zeitspanne waren sie eher dünn gesät. Ein Mal tauchte Ian auf und begann seine Schicht.
Als das Flugzeug in den Sinkflug ging, hatte ich noch nicht einmal die Hälfte gesehen. Niedergeschlagen fand ich mich damit ab, den ganzen Abend im Wohnheim damit verbringen zu müssen. Zumindest würde ich mir dann einen anständigen Kaffee machen können, um es durchzustehen. Ich war fast schon versucht, Marcus morgen die Datei in die Hand zu drücken und es ihm zu überlassen, sie sich anzusehen … aber die bohrende Stimme, die mich drängte, es selbst herauszufinden, gewann schließlich. Es war auch nicht nur wegen meiner Neugier. Ich dachte eigentlich weniger, dass Marcus irgendetwas erfinden würde, aber wenn ich mich vergewissern könnte, dass …
Da war er. Auf dem Bildschirm.
Er trug keine dieser übertriebenen Roben, aber Master Jamesons altmodischer Bart war unverkennbar. Er hatte lockere Businesskleidung an und schien über etwas zu lächeln, das ein Mann neben ihm sagte. Der Mann hatte eine Lilientätowierung auf der Wange, aber ich kannte ihn nicht.
Master Jameson. Bei den Alchemisten.
Marcus und seine tollkühnen Gesellen hatten also recht! Ein argwöhnischer Teil von mir wollte glauben, dass dies eine Falle war, dass sie die Aufzeichnung vielleicht manipuliert und den Alchemisten untergeschoben hatten. Aber nein. Ich hatte die Datei doch selbst gestohlen, von einem Alchemistenserver heruntergeladen. Es war möglich, dass Marcus weitere Insider hatte, die Dinge für ihn erledigten, aber diese Sache war mir selbst mithilfe von Magie nicht leicht gefallen. Außerdem, warum sollte sich Marcus so viel Mühe damit machen, dass ich es glaubte? Falls es eine linke Art war, mich zum Mitmachen zu überreden, hätte er es auf tausend andere Arten mit einfacher zu fälschenden Beweisen versuchen können.
Mein Bauchgefühl sagte mir, dass die Aufzeichnung echt war. Ich hatte nicht vergessen, wie ähnlich sich unsere Rituale waren oder wie die Krieger gewollt hatten, dass sich unsere Gruppen zusammentaten. Die Alchemisten und die Krieger mochten zwar noch nicht die besten Freunde sein, aber irgendjemand war zumindest Master Jameson mit einem Treffen entgegengekommen. Die Frage war nur: Was war bei diesem Treffen geschehen? Hatte der Alchemist auf den Bändern Jameson zum Teufel gejagt? Waren die beiden jetzt im Augenblick zusammen?
Was auch immer sich daraus ergeben hatte, dies war ein unleugbarer Beweis dafür, dass die Alchemisten und die Krieger immer noch in Kontakt standen. Stanton hatte mir dagegen gesagt, dass wir sie nur im Auge behielten und kein Interesse daran hätten, sie anzuhören.
Einmal mehr war ich belogen worden.
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