Magisches Erbe
Adrian kannte, würde mich eine lange, blumige Liebeserklärung erwarten. Stattdessen fand ich aber nur eine lange Zahlenfolge vor.
Die Zahlen sagten mir nichts. Ich studierte sie eine Weile, während ich im Auto saß, und wandte einige gebräuchliche Codes an, die ich kannte. Keiner ergab eine Lösung, obwohl mich das nicht sonderlich überraschte. Codes und komplexe Mathematik waren nicht gerade Adrians Stil. Aber warum hatte er mir dann den Brief hinterlassen? Offensichtlich hatte er doch angenommen, dass ich ihn würde entziffern können.
Ich hielt ihn auf Armeslänge von mir und hoffte, dass sich etwas Optisches ergeben würde. Das tat es auch. Als ich wieder auf die Zahlen schaute, sah ich in der Mitte der Reihe eine natürliche Bruchstelle in einem Format, das mir vertraut vorkam. Ich gab die beiden Zahlenfolgen in das Feld für den Längen- und Breitengrad meines Navis ein. Einen Moment später spuckte es eine Adresse in Malibu aus. Südkalifornien. War das ein Zufall?
Ohne lange zu überlegen bog ich aus dem Parkplatz des Bahnhofs und fuhr in Richtung Küste. Es war durchaus möglich, dass ich im Begriff stand, zweieinhalb Stunden zu verschwenden (fünf, wenn man den Rückweg mitrechnete), aber das glaubte ich nicht. Es gibt keine Zufälle.
Es kam mir vor wie die längste Fahrt meines Lebens. Die ganze Zeit über hielt ich das Lenkrad fest umklammert. Ich war gespannt und hatte dennoch Angst. Als ich nur noch wenige Meilen von der Adresse entfernt war, sah ich die Ausschilderung für die Getty Villa. Das verwirrte mich. Das Getty Center war ein berühmtes Museum, aber es lag doch näher bei Los Angeles. Ich verstand die Verbindung nicht oder warum ich in Malibu gelandet war. Trotzdem folgte ich brav der Wegbeschreibung und landete auf dem Gästeparkplatz der Villa.
Als ich den Eingang erreichte, bekam ich meine Antworten. Die Villa war ein Schwestermuseum des Getty Center, das sich auf antike griechische und römische Kunst spezialisiert hatte. Ein großer Teil des Museums war sogar einer antiken Villa nachempfunden, komplett mit Säulen, die um Innenhöfe mit Gärten, Springbrunnen und Statuen herumliefen. Der Eintritt war frei, aber die Karten mussten vorher gebucht werden. Heute war nicht viel los, und ich löste das Problem schnell, indem ich telefonisch eine Online-Reservierung vornahm.
Als ich eintrat, vergaß ich beinahe, warum ich hier war – aber nur einen Herzschlag lang. Das Museum war für eine Liebhaberin der Antike wie mich ein wahr gewordener Traum. Raum um Raum rückte das Altertum in den Blick. Schmuck, Statuen, Kleidung … es war, als hätte ich eine Zeitmaschine betreten. Die Wissenschaftlerin in mir sehnte sich danach, jedes Ausstellungsstück genau zu studieren und darüber nachzulesen. Doch der Rest von mir, mit klopfendem Herzen und kaum verhohlener Aufregung, machte nur kurz in jedem Saal Halt, gerade lange genug, um zu suchen und weiterzugehen.
Nachdem ich fast das gesamte Innere des Gebäudes durchsucht hatte, trat ich in das äußere Peristyl hinaus. Mir stockte der Atem. Es war ein riesiger Garten, der um einen Pool herumgebaut worden war, der mindestens siebzig Meter lang sein musste. Statuen und Springbrunnen schmückten den Pool, und das Ganze war von wunderschön beschnittenen Bäumen und anderen Pflanzen umgeben. Die Sonne, warm trotz des Dezembertages, schien auf alles hinab, und die Luft war von Vogelgezwitscher, spritzendem Wasser und leisen Gesprächen erfüllt. Touristen wanderten umher und blieben stehen, um die Schätze zu bestaunen oder Fotos zu machen. Keiner von ihnen war jedoch von Bedeutung – nicht als ich endlich die Person fand, die ich gesucht hatte.
Er saß am anderen Ende des Gartens, auf dem Rand des Pools. Er hatte mir den Rücken zugewandt, aber ich hätte ihn überall erkannt. Ich näherte mich mit banger Erwartung, immer noch aufgewühlt von dieser seltsamen Mischung aus Furcht und Ungeduld. Je näher ich kam, desto genauer nahm ich ihn wahr. Den hochgewachsenen, schlanken Körper. Das kastanienfarbene Glitzern, das die Sonne auf seinem dunklen Haar hervorrief. Als ich schließlich das Ende des Pools erreicht hatte, blieb ich direkt hinter ihm stehen und wagte es nicht weiterzugehen.
»Sage«, sagte er, ohne aufzuschauen. »Dachte, du seist inzwischen südlich der Grenze.«
»Nein, das dachtest du nicht«, widersprach ich. »Du hättest mir niemals den Brief gegeben oder wärst den ganzen Weg hierhergefahren. Du wusstest, dass ich nicht
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