Magisches Spiel
nahm den Krach wahr, mit dem die Kugel dort, wo er gerade noch gesessen hatte, auf Höhe seines Kopfes den Baum zerschmetterte, der hinter ihm gewesen war. Gleich darauf folgte das dumpfe Dröhnen des Gewehrs. Tansy wehrte sich nicht und presste sich so eng an ihn, dass sie geschmeidig den Hang hinunterrollten. Die Steine und das Gestrüpp mussten schmerzhafte Schrammen auf ihrem Körper zurücklassen, doch sie gab keinen Ton von sich.
Als sie ausrollten und liegen blieben, bedeutete er ihr, sich nah am Boden zu halten und in das dichtere Gesträuch hinter ihnen zu huschen. Sie stellte keine Fragen, sondern blieb auf dem Bauch liegen und kroch langsam rückwärts, um Deckung zu finden. Kaden tat dasselbe und glitt in das Gesträuch, als hätte er nie etwas anderes getan. Er zog mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung eine Schusswaffe aus seinem Stiefel und drückte sie ihr in die Hand.
Weißt du, wie man damit umgeht?
Sie blinzelte, aber es hätte sie eigentlich nicht schockieren dürfen. Sowie er die Gefahr gespürt hatte, hatte er die Verbindung zu ihr hergestellt, damit auch sie diese Gefahr wahrnahm. Er hatte sich mit derselben Geschmeidigkeit in ihren Geist eingeschlichen, mit der er die Waffe aus seinem Stiefel gezogen und sie ihr in die Hand gedrückt hatte. Sie nickte zur Bestätigung. Sie waren beide Telepathen, und irgendwie fühlte sie sich dadurch weniger allein – weniger abgesondert von allen anderen. Sie hatte noch nie persönlich Bekanntschaft mit einem anderen Menschen mit übersinnlichen Gaben gemacht.
Bleib in Deckung. Ich begebe mich auf die Jagd.
Sie wollte nicht, dass Kaden sie allein ließ. Er wirkte
so zuverlässig, und bei ihm fühlte sie sich geborgen; außerdem verströmte er grenzenlose Selbstsicherheit. Ich vermute, dass es sich nicht um einen Wilderer handelt, der rein zufällig auf uns gestoßen ist.
Nein, nicht mit diesem Gewehr. Du bleibst in Deckung.
Er hatte sich bereits in Bewegung gesetzt, und sie musste ihre gesamte Selbstbeherrschung aufbieten, um nicht die Arme auszustrecken und sich an ihn zu klammern.
Dir kann nichts passieren , beteuerte ihr Kaden mit unerschütterlicher Zuversicht. Ihm blieb gar nichts anderes übrig, als erfolgreich zu sein. Er hatte es mit einem Scharfschützen zu tun, der ihn hier aufgespürt hatte, was bedeutete, jemand ganz hoch oben wollte nicht, dass es Kaden gelang, das Rätsel der Morde zu lösen. Allzu sehr überraschte ihn das nicht; jemand hatte von Anfang an gewollt, dass das Schattengängerprojekt aufgegeben und alle Beteiligten getötet wurden – und dieser Jemand arbeitete im Weißen Haus. Die Schattengänger hatten es nicht geschafft, dahinterzukommen, von wem genau die Bedrohung ausging, und daher hatten sie nicht die Möglichkeit, denjenigen zu eliminieren, doch wenn Kaden lebend hier herauskam, würden sie der Lösung des Rätsels einen Schritt näher gekommen sein.
Er begann Tansys Lager einigermaßen weiträumig zu umrunden und hielt sich dabei dicht am Boden. Bewegungen zogen Blicke auf sich, und er wollte einem Scharfschützen keinen Teil seines Körpers zu erkennen geben und ihm noch nicht einmal den Ort verraten, an dem er sich gerade befand. Ganz gleich, wen sie hinter ihm hergeschickt hatten – der Mann musste gut sein.
Aber nicht gut genug, denn in einer Welt, in der es darum ging, zu töten oder getötet zu werden, gab es nur
wenige Männer wie ihn. Er gestattete sich einen Moment grimmiger Belustigung. Er trug Kleidungsstücke, die seine Umgebung widerspiegelten und ihn nahezu unsichtbar machten. Er tarnte sich zusätzlich, indem er wie ein Chamäleon seine Hautfarbe wechselte, um sich seiner Umgebung anzupassen. Und dann setzte er sich mit der Verstohlenheit eines Wolfs in Bewegung.
Er begab sich höher hinauf und umrundete das Lager dabei weiter, damit er sich von hinten an seinen Verfolger anschleichen konnte. Es war nur ein einziger Schuss abgegeben worden, und der Scharfschütze hatte daraufhin bestimmt sofort einen anderen Standort bezogen, doch sowie Kaden die Spur fand, würde es ihm gelingen, ihr zu folgen.
Es war riskant, Tansy allein zu lassen. Nicht etwa, weil der Scharfschütze an sie herankommen könnte; Tansy war zu gerissen, um ihren Standort zu verraten. Aber sie würde den Entschluss fassen, ihm davonzulaufen, und sie kannte den Berg. Sie hatte monatelang hier oben in der Sierra gelebt. Sie würde zuversichtlich sein, und sie war zu klug, um in ihr Lager zurückzukehren. Er seufzte. Er
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