Magma
Es war ein blauer Overall. Auf der Schulter war das Zeichen von Vector zu erkennen. Seine Stimme versagte, als er sah, dass ein Körper darin steckte. Ein winziger Körper. Die Leiche war vollkommen verschrumpelt, wie bei einer Mumie. Ihre Haut wirkte fast wie Leder. Der Kopf war bedeckt mit feinen weißen Haaren, die bei der Berührung mit seinem Fuß zu Staub zerfielen. Das Schlimmste aber war das Gesicht. Die Augenhöhlen waren leer. Die Lippen hatten sich zurückgezogen und entblößten ein hässliches Totengrinsen. Als sein Blick auf die Hände der Leiche fiel, bemerkte er ihre langen Fingernägel und einen filigranen Goldring. Ohne zu wissen, warum er das tat, untersuchte er den Overall. In der Brusttasche wurde er fündig. Sie enthielt einen Ausweis mit einem Foto. Es war eine Frau gewesen. Eine sehr hübsche Frau mit langen dunklen Haaren, einer geraden Nase und vollen Lippen. Auf dem Bild mochte sie zwischen fünfundzwanzig und dreißig Jahren alt sein. Er legte den Ausweis auf die Leiche und richtete sich auf. Mit einer unwirschen Handbewegung vertrieb er seinen Wolf, der gerade angefangen hatte, am Fuß der Leiche herumzuknabbern. Die aufsteigende Übelkeit bekämpfend, ging er weiter. Nicht weit von dem ersten Körper entfernt sah er zwei weitere Leichen, beide in einem ähnlich bemitleidenswerten Zustand. Sie lagen am Rande eines flachen Kraters. Der Fallensteller bemerkte, dass beide Schaufeln in der Hand hielten. Er trat an den Kraterrand und blickte hinab. Etwas Graues lag dort unten, halb bedeckt vom umgebenden Erdreich. Sah aus wie eine Steinkugel. An einigen Stellen war das graue Deckmaterial abgeblättert und enthüllte einen dunklen Kern.
Sein Wolf bleckte die Zähne und gab ein unheilvolles Knurren von sich. Mit einem Mal musste er wieder an Tschernobyl denken. Wenn dieses Ding wirklich radioaktiv war, dann war er jetzt bereits so stark verstrahlt, dass er sterben würde. Nichts könnte das noch verhindern. Dieser Gedanke löste eine seltsame Ruhe in ihm aus. Es machte keinen Unterschied, ob er rannte oder hierblieb, er würde es ohnehin nicht mehr schaffen. Dann konnte er auch genauso gut hierbleiben und das Ding untersuchen.
Vorsichtig und mit einem mulmigen Gefühl im Magen kniete er sich neben die metallisch schimmernde Kugel. Er hatte so etwas schon einmal gesehen, damals, als er noch ein Junge war. Die Erinnerung daran lag weit, weit zurück in seiner Vergangenheit.
Er legte seine Hand auf die Oberfläche. Sie war noch warm.
29
Zwei Tage später …
D er Toyota Landcruiser fuhr über einen schmalen Grat und kam mit einem knirschenden Geräusch zum Stillstand. Ella öffnete die Tür, stieg aus und tat einige zaghafte Schritte. Sie fühlte sich wie eingerostet. Kein Wunder nach einer Anreise von beinahe zwanzig Stunden. Sie machte einige Dehnübungen, dann sah sie sich um. Vor ihr lag ein flacher Hügel, an dessen Fuß sich der Lastwagen und das Lager der Wissenschaftler gruppierten. Das also war das Ziel ihrer Reise, eine armselige Ansammlung von Zelten, irgendwo in der endlosen Weite der Atacama-Wüste. Eine Handvoll Personen wuselte durch das Lager und lud irgendwelche Gegenstände aus dem Laster. Einer von ihnen, ein Mann mit Baseballmütze und Sonnenbrille auf der Nase, hatte sie bereits entdeckt und winkte ihnen zu.
Konrad Martin klopfte auf das Dach des Autos. »Kommen Sie?«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich das letzte Stück gern zu Fuß gehen«, entgegnete Ella. »Ich brauche Bewegung nach der ewigen Herumsitzerei.«
Er nickte, stieg wieder ein und trat aufs Gas. In eine Staubwolke gehüllt, lenkte er das Fahrzeug zum Camp. Während Ella gemächlich hinterherschlenderte, nahm sie den Anblick der Wüste in sich auf. Am Horizont erhob sich der Cerro del Quimal, dessen Flanken dreitausend Meter hoch in den Himmel ragten. Doch abgesehen von einigen Hügelketten war das Land einigermaßen flach. Die nahegelegene Andenkordillere hüllte sich in Staub und Dunst.
Sie konnte sich nicht erinnern, jemals eine so trostlose Gegend gesehen zu haben. Kein Baum, kein Strauch, nicht einmal irgendwelche Flechten oder Moose. Von Vögeln, Insekten oder Eidechsen ganz zu schweigen. Hier gab es nichts. Nur Geröll.
Die Luft war von einer Stille erfüllt, die beinahe schmerzhaft in den Ohren dröhnte. Kein Wunder, dass sich die Wissenschaftler der Carnegie-Mellon-Universität diesen Ort für ihr Testfahrzeug ausgesucht hatten. Wenn es einen Platz auf dieser Erde gab, der dem Mars
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