Magma
Lebens hinter mir«, sagte sie. »Erst das Unglück auf der
Shinkai
und danach Sibirien. Ich weiß nicht, welches Erlebnis entsetzlicher war. Beides hat mich an meine seelischen und körperlichen Grenzen geführt.« Sie blickte in die Tiefe. Die Menschen waren inzwischen auf die Größe von Bleistiften geschrumpft.
In Helènes Gesicht zeichnete sich Betroffenheit ab. »Und schon wieder ist es meine Schuld.« Ihr Mund wurde zu einer scharf geschnittenen Linie. »Hätte ich gewusst, was da auf Sie zukommt, ich hätte Sie natürlich niemals losgeschickt, das müssen Sie mir glauben. Ich habe Ihnen den Auftrag damals mit dem Hinweis gegeben, dass Sie als Einzige meines Stabes entbehrlich seien. Aber wie hätte ich ahnen können, dass sich die Situation so entwickeln würde.« Sie hob den Kopf. »Die Außenerkundungen sind abgeschlossen. Mit Ihrer Erlaubnis würde ich Sie gern meinem Geologenstab als beratende Mitarbeiterin zuteilen. Ich bin sicher, meine Leute sind ganz begierig darauf, Informationen aus erster Hand zu bekommen. Bis die Sache abgeschlossen ist, werden Sie kein weiteres Risiko mehr eingehen. Sie können hier so lange forschen und arbeiten, wie Sie wollen – hier, in unserem Berg.« Mit einem Seitenblick fügte sie hinzu: »Es sei denn, Sie haben etwas anderes vor.«
»Was ist mit Effelsberg?«
Helène bedachte sie mit einem schwer zu deutenden Blick. »Was soll damit sein?«
»Das Signal wurde zuerst im Radioteleskop von Effelsberg empfangen. Ich würde der Sache gern auf den Grund gehen.«
Der Lift kam zum Stillstand und die Tür öffnete sich mit einem wohltönenden Gong. »Hier entlang, bitte.« Die Direktorin eilte aus der Gondel und führte Ella an einer Balustrade entlang, von der aus man die gesamte Anlage überblicken konnte. Ella zuckte zurück, als sie an die Höhe dachte. Sie waren noch nicht weit gegangen, als Helène neben einer Tür stehen blieb – laut Türschild das Büro von Dr.Kowarski.
»Da wären wir«, sagte sie und öffnete die Tür. »Hier oben befinden sich die Büros der Institutsleitung, Dr.Steenwell und Dr.Habermann. Sie haben die beiden ja während der Sitzung kennengelernt. Ihre Büros befinden sich ein Stück weiter den Gang entlang.«
»Schöne Aussicht«, log Ella, während sie eintrat.
»Nun, die besten Büros für die besten Mitarbeiter, nicht wahr?« Helène schloss die Tür und warf Ella einen schwer zu deutenden Blick zu. Sie zeigte auf eine Ledercouch, die zwischen zwei Yuccapalmen eingezwängt stand. »Bitte sehr.«
»Danke.«
»Kaffee oder Tee?«
»Tee bitte.«
Helène tippte auf einen Knopf an ihrem Telefon. »Keine Anrufe jetzt«, sagte sie. »Ach ja, bringen Sie uns eine Kanne Tee. Danke.«
»Was ist jetzt mit Effelsberg?«
»Eigentlich hatte ich vor, einen unserer Astrophysiker dorthin zu schicken. Ich dachte, Sie hätten erst mal die Nase voll vom Herumreisen.«
Ella blickte sich um. Sie fühlte sich unwohl in dieser Welt aus Stahl, Beton und Kunstlicht. Die vielen Pflanzen, die hier herumstanden, ließen die Szenerie nur noch unwirklicher erscheinen. Sie konnte sich nicht vorstellen, es auch nur länger als eine Woche hier drin auszuhalten, geschweige denn die nächsten Monate hier zu arbeiten. »Nun, Tatsache ist …«, sie blickte zur Tür, »… ich fühle mich nicht besonders wohl in geschlossenen Räumen. Selbst wenn es etwas so Bedeutendes ist wie dieses Institut. Darüber hinaus stecke ich mittlerweile so tief in der Sache drin, dass ich sie unbedingt zu Ende führen möchte. Ich würde wirklich gern selbst dorthin reisen.« Sie warf Madame Kowarski ein entschuldigendes Lächeln zu.
»Ich weiß nicht recht.«
»Immerhin habe ich Sie überhaupt erst auf diese Idee gebracht.«
»Stimmt schon. Aber trotzdem …«
»
Bitte
.«
»Na schön. Ich werde darüber nachdenken.« Helène lächelte versonnen. »Sie haben da unten einige meiner Mitarbeiter ziemlich brüskiert, wissen Sie das?«
»Das lag nicht in meiner Absicht.«
Madame Kowarski winkte ab. »Das macht nichts. Um ehrlich zu sein, Sie haben uns allen einen heilsamen Schock versetzt. Zusammen mit dem, was Colin herausgefunden hat, sind wir ein gutes Stück weitergekommen.«
Ella nahm ihren ganzen Mut zusammen. »Es gibt noch etwas anderes, über das ich dringend mit Ihnen sprechen muss.«
»Sie sprechen von Konrad Martin.«
»Von wem sonst?«
Helène faltete die Hände, ein aufmunterndes Lächeln in ihrem Gesicht. »Wir sind völlig ungestört. Wenn Sie mir etwas sagen
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