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Magna Mater - Roman

Magna Mater - Roman

Titel: Magna Mater - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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die ich in der Nacht vernommen hatte, waren mit Gewissheit keine Frauenstimmen gewesen. Waren die Skarabäen etwa …? Ich wagte den Gedanken nicht zu Ende zu denken.
    Am Morgen wurde ich in einen kreisrunden Saal geführt, in dem mich die Skarabäen erwarteten. Sie saßen auf Kissen im Schneidersitz entlang der Wand. Alle trugen Masken. Auch ich hatte wie am Vortag meinen Schleier angelegt, um zu demonstrieren, dass ich mich keineswegs unterlegen fühlte. Als Gesandte der höchsten Autorität des Ordens erwartete ich, dass ich mit Respekt behandelt wurde. In ihrer Mitte stehend, nahm ich zur Kenntnis, dass man mir offensichtlich keinen Sitzplatz zugedacht hatte. Erst als ich darum bat, wurde aus einem Nebengemach ein Stuhl herbeigeholt.
    Ich forderte sie auf, die Masken abzunehmen, wie es sich unter Ordensfrauen geziemt, und begann damit, meinen Schleier aufzuknüpfen. Die Skarabäen beobachteten mich regungslos wie hölzerne Skulpturen, anscheinend nicht bereit, meinem Beispiel zu folgen. Ich ließ mich nicht beirren. Dann würde ich halt mit gutem Beispiel vorangehen.
    Als ich den Schleier ablegte, ertönte ein Aufschrei. Einer der Skarabäen war aufgesprungen. Er riss sich die Maske vom Gesicht und starrte mich an, als sähe er ein Gespenst: »Das ist sie, die Frau, der ich mein Leben verdanke.«
    Nun fielen alle Masken.
    Welch ein Anblick. Was waren das für Menschen?
    Schädel, Wangen und Kinn waren mit Bartstoppeln übersät, wie bei einem kurzfelligen Tier, einem Affen oder einem Hund. Ich betrachtete sie erschrocken mit weit aufgerissenen Augen. Da sah ich ihn: Er stand nur zwei Schritte neben dem Mann, den ich aus dem Meer geborgen hatte. Er war es. Unverkennbar das Blau seiner Augen.
    Jakaranda!
    Ich streckte meine Arme nach ihm aus, wollte zu ihm. Doch er war erschrocken aufgesprungen, hob abwehrend die Arme und stieß mich von sich. Dabei verlor ich das Gleichgewicht, fiel und schlug mit der Stirn auf den Steinboden.
    Als ich wieder zu mir kam, saß der Mann aus dem Meer an meinem Lager. Er strich mir das Haar aus der Stirn und meinte: »Was hat er dir bloß angetan?«
    »Wer?«
    »Der Junge. Warum hast du dich auf ihn gestürzt, als wolltest du ihn umbringen?«
    Ich schloss die Augen und schwieg. Wie konnte ich ihm mit ein paar Sätzen erklären, dass Jakaranda mein Kind und er sein Vater war? Mit den Fingerspitzen ertastete ich den Verband, der meine Stirn bedeckte. Mein Schädel dröhnte wie Trommelschlag. Ich sehnte mich nach Schlaf.
    Im Traum hörte ich die Männerstimmen hinter der Tür: »Ein Fremdkörper ist in unseren Organismus eingedrungen. Eine Eiterbeule, die entfernt werden muss, je eher, desto besser.«
    Grüngelbliches Glühwürmchenlicht glomm auf Fratzen. Behaarte Hände hoben sich zum Schwur. Ein Daumen nach dem anderen senkte sich nach unten. Keiner fehlte. Ein Todesurteil.
    Magna Mater, hilf! Wie gerufen trat sie in den Kreis der Scharfrichter. Hilfe im rechten Augenblick. Sie hob die rechte Hand. Der aufgereckte Daumen. Ich sah mit Entsetzen, wie auch er sich nach unten senkte.

25. KAPITEL
    I m Rückblick vermag ich nicht mehr zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden. Lag es an meiner Kopfverletzung oder an der fremdartigen Welt der Igelköpfe, dass ich nicht mehr mit Bestimmtheit weiß, ob sich alles so ereignet hat, wie ich es hier beschreibe? Erlebt habe ich es allemal, wenn auch vielleicht nur mehr oder weniger im Unterbewusstsein.
    So wie Träume in der Erinnerung vor allem als Bilder gespeichert werden, so erlebte ich die Begegnung mit den Skarabäen mehr in Bildern als in Ereignissen.
    Was für Köpfe! Nie zuvor habe ich dergleichen gesehen. Der Mann, den ich aus dem Meer gefischt habe – Karras nennen sie ihn –, hatte damals mit Mähne und Bart ausgeschaut wie ein Löwe. Jetzt erinnert er mich mehr an einen Bären, zumal er an Gewicht zugelegt hat. Die meisten Skarabäen sind hager wie Iltisse, Iltisse mit Igelköpfen. Und was für seltsame Namen sie haben. Der mit Abstand älteste heißt Estragon. Er scheint ihr Anführer zu sein und wird mit »Abt« angeredet. Wenn er spricht, schweigen die anderen. Er spricht nur selten, was übrigens für die meisten gilt. Sie nehmen mich zur Kenntnis, ohne mich wirklich wahrzunehmen.
    Ein Alter mit kahlem Schädel wechselt täglich meinen Kopfverband. Meine Fragen überhört er. Dabei betrachtet er mich, als wollte er sagen: Jedermann verdient, dass man ihn anhört, aber nicht jeder verdient, dass man mit ihm spricht. Sie

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