Magnolienschlaf - Roman
mit einem Mann in blauem Overall ein,
der eine Werkzeugtasche trägt. Sie nickt Jelisaweta kurz zu und führt den Mann ins Wohnzimmer.
»Hier«, sagt sie und weist auf den Fernseher.
Der Blaumann lugt hinter das Gerät. »Und wo soll er hin?«
»Genau oben drüber. Strom ist dort.«
»Kabelanschluss auch?«
Frau Hübner schüttelt den Kopf. »Nein, der ist nur hier.«
Jelisaweta steht starr im Türrahmen, den Küchenkrepp noch immer zwischen den nackten Zehen. Sie friert. Erst nach einer Weile
fällt ihr das Fotoalbum ein, sie huscht zum Sofa und deckt es mit dem Handtuch ab.
Der Blaumann hebt die Schultern. »Auch kein Problem,brauch ich nur einen Schlitz zu kloppen und einmal hochzubohren.«
»Um Gottes willen, bloß nicht so einen Aufwand, das dauert ja nicht mehr ewig …« Karin Hübner zeigt erst zur Decke, dann auf
den Schacht der Luftheizung. »Kann man da nicht was machen? Der führt doch in das Zimmer …«
Neugierig hält der Mann die Hände über das Schachtgitter. »Wow, hätt nicht gedacht, dass einer noch so ’ne Heizung hat.« Er
wiegt den Kopf. »Na ja, wenn es nicht zu heiß wird – klar, geht schon.«
»Da wird schon lange nicht mehr mit geheizt, da laufen nur die Heizungsrohre durch.«
»Ach so.« Er lacht. »Dann isses kein Problem, langes Kabel hab ich dabei.«
»Gut, dann erledigen Sie das bitte, und tragen Sie das Gerät gleich nach oben.«
Fassungslos starrt Jelisaweta auf den Mann, der den Fernseher vom Tisch hebt und sich an der Steckdose zu schaffen macht.
Sie will irgendetwas sagen, ihn hindern; stattdessen steht sie nur stumm und spürt, wie die Vorstellung, von nun an jeden
Abend in die leere Zimmerecke schauen zu müssen, ihre Brust immer kleiner werden lässt.
»Und Sie machen ein bisschen sauber, wenn er so weit ist, Lisa. Haben Sie die Wäsche fertig?«
Kein MTV mehr, keine Arztserien, keine Nachrichten, keinen Spätfilm, nichts mehr. Jelisawetas Atem wird zäh, sie nickt nur
in Frau Hübners Richtung, deutet auf den Wäschekorb hinter der Esszimmertür. Als Karin Hübner schon den Türknauf in der Hand
hat, kehrt LisasSprache zurück. »Haben Sie noch einen anderen? Fernseher?«
Frau Hübner runzelt die Stirn, als dächte sie nach. »Nein«, antwortet sie. »Warum?«
Jelisaweta hebt nur die Schultern, auch wenn ein Kopfschütteln ihr jetzt leichter fiele. »Ich möchte auch gerne fernsehen.«
»Sie können doch nach oben gehen. Das ist sowieso besser, damit das Tantchen nicht so allein ist. Ist sonst noch was?«
Jelisaweta will verneinen, doch dann fällt es ihr wieder ein. »Wer ist Monika?«
»Monika? Meine Schwägerin, die Schwester meines Mannes. Wieso?«
»Ah, so nur, dachte ich, ist vielleicht Tochter von Frau Hennemann.«
»Tante Minchen hat keine Kinder. Auf Wiedersehen.«
Jelisaweta tappt ins Wohnzimmer zurück. Während sie sich die letzten Papierfetzen, die noch nicht abgefallen sind, von den
Füßen reißt, beobachtet sie den Mann, der das Messinggitter vom Heizungsschacht abschraubt. Schnee liegt auf ihrer Seele.
Und Angst. Pappige, tonlose Angst.
Vom Mittagessen an läuft oben im Schlafzimmer der Fernseher, man kann es durch den Heizungsschacht hören, obwohl die Alte
den Ton kaum aufgedreht hat. Triumph hat in ihrem Blick gelegen, als Jelisaweta ihr das Essen gebracht und wieder abgeräumt
hat. Dicker, hämischer Triumph; ohne auch nur das Gesicht zu verziehen, hat sie Schadenfreude gleichsam ausgestrahlt wie eine
Temperatur.
Sobald es draußen dunkelt, wappnet sich Jelisaweta wieder mit Nagellack, Briefpapier und den bereits gelesenen Büchern. Doch
der Raum, den sie bisher in den Abendstunden fast gemocht hat, bedroht sie nun mit seiner Stille, in der die Zeit sich festfrisst,
unbarmherzig und zäh. Ein dickes weißes Kabel läuft über den Boden, den Durchgang zum Esszimmer entlang und verschwindet im
Heizungsgitter. Um nicht zu stolpern, hat Jelisaweta den Teppich darübergelegt, den Frau Hübner Brücke nennt, jetzt ergibt
sein Name Sinn. Sie würde gerne Mascha anrufen, hat das Telefon aber bei der Alten vergessen. Auf dem Tisch liegt das rote
Fotoalbum, zornig wirft Jelisaweta es gegen den Schrank, blickt eine Weile darauf, wie es am Boden liegt, und hebt es schließlich
auf.
Wie viele Fotos mag es von ihr selbst geben, von Jelisaweta als Kind? Es sind wenige, ein paar aus dem detski sad, dem Kindergarten,
bei Feierlichkeiten aufgenommen. Wenige nur, die Mama gemacht haben muss, als
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