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Magnolienschlaf - Roman

Magnolienschlaf - Roman

Titel: Magnolienschlaf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Baronsky
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Jelisaweta klein war; ihr fällt keines ein,
     das sie beide gemeinsam zeigt. Erst recht nicht so. So liebevoll und vertraut.
    Die schönsten sind noch die mit Mascha, in der Sandkiste, später dann auf dem Balkon bei Maschas Eltern, Maschas Vater hat
     sie zum Lachen gebracht mit seinen Späßen, die sie geliebt haben, solange sie klein waren; es gab Saft und Kuchen, von Maschas
     Mutter gebacken. Mama hat nie Kuchen gebacken, kein einziges Mal …
     
    Sie geht mit Mama die uliza Dostojewskowo entlang, die Straßenlampen beleuchten den Nieselregen, der sichwie Sommermückenschwärme unter den Laternen ballt. Ihre Regenjacke ist nicht zugeknöpft und der Pullover klamm. Einen Moment
     hält sie inne, greift nach den Knöpfchen, aber es ist sinnlos, sie kann sie nicht schließen, das schaffen nur Große. Fragend
     sieht sie hinter Mama her.
    »Herrgott, Jelisaweta, jetzt komm endlich, es regnet!«
    Jelisaweta schluckt und stolpert hinter Mama drein, bis sie wieder neben ihr geht. Zaghaft hebt sie ihre Hand und greift nach
     Mamas Fingern, will hineinschlüpfen in den großen, warmen Griff. Doch nur für einen Augenblick kann Jelisaweta sich an Mamas
     Fingern festklammern, dann verschwindet die Hand in Mamas Manteltasche. Der Wind drückt die nassen Mückenschwärme gegen Jelisawetas
     Gesicht.
    Jelisaweta leert ihre Teetasse. Die schwankenden Tannen vor dem Haus lassen hie und da den Schein der Straßenlaterne in das
     tote Zimmer geistern. Irgendwo im Schacht klopft die Heizung. Bevor sie zu Bett geht, reißt Jelisaweta das weiße Kabel aus
     der Dose.

Als Wilhelmine aufwacht, ist ihr, als hielte jemand der seit Tagen auf ihr lastenden Bangigkeit den Mund zu. Vorsichtig dreht
     sie sich zur Seite, es ist schon beinahe hell, mit unbeugsamer Beharrlichkeit schiebt sich das Licht morgens immer zeitiger
     in den Raum, mit der stürmischen Kraft des jugendlichen Jahres, es wird über Wilhelmine hinwegbranden, ohne zu fragen, ob
     sie bei dieser neuen Runde dabei sein will.
    Der Wecker zeigt nach sieben. Als Wilhelmine nach der Klingel tastet, spürt sie etwas Festes in der Bettritze klemmen, noppiges
     Plastik, das ist die Fernbedienung, und das Telefon liegt gleich daneben. Vorsichtig stützt sie den Ellbogen auf. Ja, der
     Fernsehapparat steht da, erleichtert erinnert sie sich an den gestrigen Abend, einen Kriminalfilm hat es gegeben, mit einer
     Frau als Detektivin, das hat Wilhelmine gefallen, auch wenn ihr bis zum Schluss nicht klargeworden ist, was der Spitzbub in
     der Geschichte eigentlich angestellt hatte. Der Fernseher. Tiefe Ruhe überkommt sie. Ihr Blick verharrt für einen Moment an
     der dunklen Glasscheibe, endlich gibt es eine Tür nach draußen, und die Welt dringt in ihr Zimmer, ohne dass Wilhelmine darum
     bitten müsste. Schon sehnt sie sich nach dem Abend und den neuen Geschichten, die sie sehen wird, ein Lichtblick, im eigentlichen
     Sinn des Wortes. Dann fällt ihr ein, dass es heutzutage bereits am frühen Morgen Fernsehsendungen gibt, sie hat doch selbst
     schon welche gesehen. Seltsam, wie sie das vergessen konnte; Wilhelmine schüttelt sich, als ließe sich damit das Durcheinander
     der Epochen in eine Reihenfolge bringen, und wieder schwebt sie über der Zeit; wie Bauklötze liegen Lebensabschnitte unter
     ihr verstreut, sie kann sie aufheben und betrachten, sie in die richtige Ordnung zu bringen gelingt ihr längst nicht mehr.
     Einige glänzen wie lackiert, so dass man darüberstreichen möchte. Andere haben Kratzer und Dellen, als hätten Generationen
     von Kindern damit gespielt, Lebensspuren nennt Wilhelmine das. Nur wenn man genau hinschaut, kann man die sehen, die unter
     all dem Bunten verborgen liegen, grau und schwer. Wilhelmine ist, als starrten siesie aus der Tiefe an. Die Fernbedienung, rasch, sie muss den Apparat einschalten!
    Mit unsicherer Hand tastet sie über die Matratze, bis sie an das kleine schwarze Ding stößt, nimmt es und sucht den roten
     Knopf, dann eine Zahl, irgendeine, sie wird schon einen Sender finden, auf dem jemand wach ist. Mit Nachdruck presst sie Knopf
     um Knopf, immer wieder, sie mag ihrem Griff nicht trauen. Doch überall nur Schneegestöber, manchmal mit Wind, meistens ohne.
     Rasch greift sie nach der Klingel, zögert. Nein, nicht die Russin, die wird ihr nicht helfen, das weiß Wilhelmine genau und
     will Karins Nummer wählen, dann fällt ihr der Brief ein, und sie lässt die Hand sinken. Verrat. Wie soll sie je wieder mit
     Karin sprechen, jetzt,

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