Magnus Jonson 01 - Fluch
Regierung und viele Einwohner waren pleite, versanken in den Schulden aus den Boomzeiten. Magnus hatte von den wöchentlichen Demonstrationen gelesen, die seit Monaten jeden Samstagnachmittag vor dem Parlamentsgebäude stattfanden.
»Der Trend bereitet uns Sorgen«, fuhr der Polizeichef fort. »Es gibt immer mehr Drogen, mehr Drogenbanden. Wir hatten Probleme mit litauischen Banden, und die Hells Angels versuchen schon seit Jahren, in Island Fuß zu fassen. Wir haben jetzt mehr Ausländer hier, und eine kleine Minderheit davon hat eine andere Einstellung zum Verbrechen als die meisten Isländer. Die Regenbogenpresse überzeichnet das Problem natürlich, aber wenn ich diese Bedrohung ignorieren würde, wäre ich ein schlechter Polizeichef.«
Er hielt inne, um sich zu vergewissern, dass Magnus ihn verstand. Magnus nickte zur Bestätigung, auch wenn er seine Schwierigkeiten hatte.
»Ich bin stolz auf unsere Polizei, sie arbeitet hart und hat eine gute Aufklärungsquote, aber sie hat einfach keine Erfahrung mit Verbrechen, wie sie in Großstädten mit hohem ausländischem Bevölkerungsanteil verübt werden. Der Großraum Reykjavík hat eineBevölkerung von nur hundertachtzigtausend, im gesamten Land leben lediglich dreihunderttausend Menschen, aber ich möchte, dass wir vorbereitet sind, falls hier solche Dinge passieren wie beispielsweise in Amsterdam, Manchester oder Boston. Deshalb habe ich um Unterstützung gebeten.
Letztes Jahr gab es in Island drei ungelöste Mordfälle, die alle miteinander zu tun hatten. Wir konnten jedoch nicht herausbekommen, wer sie beging, der Täter stellte sich schließlich der Polizei. Es war ein Pole. Wir hätten ihn eigentlich schon fassen müssen, nachdem die erste Frau getötet worden war, aber weil wir versagten, starben noch zwei weitere. Ich bin der Ansicht, dass wir ihn aufgehalten hätten, wenn jemand wie du bei uns gewesen wäre.«
»Hoffentlich«, sagte Magnus.
»Ich habe deine Akte gelesen und mit Deputy Superintendent Williams gesprochen. Er hat dich begeistert gelobt.«
Magnus hob die Augenbrauen. Ihm war nicht bekannt, dass Williams begeistert loben konnte. Und er wusste, dass seine Personalakte einige schwarze Flecken aufwies, Folgen aus jener Zeit, als er nicht immer genau das getan hatte, was man ihm sagte.
»Wir stellen uns vor, dass du einen Crashkurs an der Polizeiakademie besuchst. In der Zwischenzeit stehst du für Weiterbildungsseminare und Auskünfte zur Verfügung, falls etwas geschehen sollte, wo du uns helfen kannst.«
»Ein Crashkurs?«, wiederholte Magnus, weil er nicht wusste, ob er richtig verstanden hatte. »Wie lange soll der denn dauern?«
»Normalerweise dauert er ein Jahr, aber da du schon so viel Erfahrung im Polizeiwesen hast, hoffen wir, dass wir dich in weniger als sechs Monaten durchbekommen. Das ist unvermeidlich. Du kannst niemanden verhaften, solange du nicht die isländischen Gesetze kennst.«
»Gut, das verstehe ich, aber wie lange soll ich ...«, Magnus überlegte, suchte das isländische Wort für »Einschätzung«, »... deiner Meinung nach denn hierbleiben?«
Er hatte sich noch nicht an die Ungezwungenheit der Isländer gewöhnt. Kein »Sir«, kein »Polizeichef Gudmundsson«. In Island duzten sich alle und sprachen sich mit dem Vornamen an, egal ob sich ein Straßenkehrer mit dem Präsidenten des Landes unterhielt oder ein Polizeibeamter mit seinem Vorgesetzten. Daran würde Magnus sich gewöhnen müssen, doch es gefiel ihm.
»Ich habe ein Minimum von zwei Jahren vorgeschlagen. Deputy Superintendent Williams versicherte mir, das sei akzeptabel.«
»Mir gegenüber hat er diesen Zeitraum nicht erwähnt«, erwiderte Magnus.
Snorris blaue Augen bohrten sich in die von Magnus. »Natürlich hat Williams mir erzählt, warum du Boston unbedingt vor übergehend verlassen musstest. Ich bewundere deinen Mut.« Sein Blick huschte zum uniformierten Fahrer auf dem Vordersitz hinüber. »Aber außer mir weiß keiner Bescheid.«
Magnus wollte protestieren, beließ es aber dabei. Bisher hatte er noch keine Vorstellung, wie lange es bis zum Prozess gegen Lenahan und seine Komplizen dauern würde. Er wollte mit dem Polizeichef zusammenarbeiten, bis er zur Zeugenaussage nach Boston zurückkehren müsste. Und dort würde er bleiben, egal welche Pläne der isländische Polizeichef für ihn hatte.
Snorri grinste. »Aber wie es der Zufall will, haben wir bereits etwas, in das du deine Zähne schlagen kannst. Am Vormittag wurde eine Leiche
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