Magnus Jonson 01 - Fluch
verzog. »Das Opfer heißt Agnar Haraldsson. Er ist Professor an der Universität Island. Dies ist sein Ferienhaus. Er wurde in der letzten Nacht ermordet – erhielt wohl im Haus einen Schlag aufden Kopf – und wurde dann nach draußen in den See befördert. Er wurde heute Morgen um zehn Uhr von den zwei Kindern aus dem Haus da drüben gefunden.«
»Das Haus mit dem Range Rover davor?«, fragte Magnus. Baldur nickte. »Die beiden holten ihren Vater, und der wählte den Notruf.«
»Wann wurde das Opfer zum letzten Mal lebend gesehen?«, wollte Magnus wissen.
»Gestern war Feiertag – Sommeranfang.«
»Kleiner isländischer Scherz«, sagte der Polizeichef. »Bis zum richtigen Sommer dauert es noch ein paar Monate, aber wir nehmen alles, was wir kriegen können, um uns nach dem langen Winter bei Laune zu halten.«
Baldur überhörte die Bemerkung. »Die Nachbarn sahen Agnar gegen elf Uhr vormittags eintreffen. Er parkte sein Auto vor dem Haus und ging hinein. Sie winkten ihm zu, er winkte zurück, aber sie sprachen nicht miteinander. Am Abend bekam er Besuch, eine Person oder mehrere.«
»Beschreibung?«
»Gibt es nicht. Die Nachbarn sahen nur das Auto, ein kleines hellblaues, so was wie ein Toyota Yaris, aber sie sind sich nicht ganz sicher. Das Auto kam so gegen halb acht, acht. Fuhr wieder um halb zehn. Das haben die Nachbarn zwar nicht beobachtet, aber die Frau hörte es wegfahren, als sie gerade fernsah.«
»Noch andere Gäste?«
»Nichts, was die Nachbarn mitbekommen hätten. Aber sie waren den ganzen Nachmittag in Þingvellir, möglich wäre es also schon.«
Baldur beantwortete Magnus’ Fragen sachlich und direkt. Sein langes Gesicht verlieh seinen Äußerungen eine ernste Eindringlichkeit. Der Polizeichef hörte aufmerksam zu, überließ aber Magnus die Gesprächsführung.
»Habt ihr die Mordwaffe gefunden?«
»Noch nicht. Wir müssen wohl die Obduktion abwarten. Der Rechtsmediziner könnte uns Anhaltspunkte geben.«
»Kann ich die Leiche sehen?«
Baldur nickte und führte Magnus und den Polizeichef über einen schmalen Pfad am Haus vorbei hinunter zum See, ungefähr zehn Meter vom Haus entfernt. Hinter der Absperrung lag ein Toter ausgestreckt im sumpfigen Gras am Ufer. Drei Männer in weißen Overalls wollten ihn gerade in einen Leichensack schieben.
»Die Sanitäter aus Selfoss, die auf den Notruf reagierten, zogen ihn aus dem See. Sie dachten, er wäre ertrunken, aber der Arzt, der die Leiche untersuchte, schöpfte Verdacht.«
»Warum?«
»Das Opfer hat eine Platzwunde am Hinterkopf. Auf dem Grund des Sees liegen zwar Steine, sodass der Tote theoretisch daraufgefallen sein könnte, aber der Arzt war der Meinung, die Wunde sei zu groß.«
»Darf ich mal sehen?«
Baldur nickte und ließ Overalls, Stiefel und Handschuhe bringen. Magnus und der Polizeichef zogen sie an, trugen sich in dem Buch bei dem Kollegen ein, der den Tatort bewachte, und traten auf die Leiche zu.
Agnar war ein Mann von rund vierzig Jahren – gewesen, musste man wohl sagen. Er hatte längeres dunkles Haar mit graumelierten Schläfen, scharf geschnittene Gesichtszüge und einen modischen Dreitagebart. Unter den Stoppeln schien seine Haut blass und straff , die bläulich grauen Lippen waren schmal. Der Körper war kalt, kein Wunder, nachdem er die ganze Nacht im See gelegen hatte. Der Tote war noch steif, wonach er mehr als acht und weniger als vierundzwanzig Stunden tot sein musste, das heißt, er starb zwischen vier Uhr nachmittags und acht Uhr morgens. Das half ihnen nicht weiter. Magnus bezweifelte, dass der Rechtsmediziner in der Lage wäre, Genaueres zum Todeszeitpunkt zu sagen. Beim Tod durch Ertrinken war es oft schwer zu bestimmen, ob das Opfer vor oder nach dem Kontakt mit dem Wasser gestorben war. Sand oder Pflanzen in der Lunge konnten als Anhaltspunkt dienen, aber das würden sie erst nach der Obduktion wissen.
Vorsichtig teilte Magnus das Haar des Professors und unter suchte die Wunde am Hinterkopf.
Er schaute Baldur an. »Ich glaube, ich weiß, wo die Mordwaffe ist.«
»Wo denn?«, fragte Baldur.
Magnus wies auf das tiefe graue Wasser des Sees. Irgendwo dort draußen zog sich der Spalt zwischen den Kontinentalplatten von Þingvellir mehrere hundert Meter in die Tiefe.
Baldur seufzte. »Wir brauchen Taucher.«
»Die Mühe würde ich mir nicht machen«, sagte Magnus. »Die werden die Waffe nie finden.«
Baldur runzelte die Stirn.
»Er bekam einen Schlag mit einem Stein«, erklärte Magnus. »Der
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