Magnus Jonson 01 - Fluch
die Zeitungen und die Gespräche auf der Dienststelle beherrscht.
»Jonson habe ich auch schon länger nicht mehr gesehen«, bemerkte einer der Computertechniker.
»Weißt du das nicht? Er ist untergetaucht. Ist Zeuge im Lenahan-Fall.«
»Soll das heißen, er ist im Zeugenschutzprogramm?«
»Glaub schon.«
»Ich hab aber letztens von ihm gehört.«
Pattie warf dem Sprecher einen kurzen Blick zu. Es war einkleiner chinesischstämmiger Mann, der sehr schnell sprach. »Hat mir eine E-Mail geschickt. Bat mich, einen E-Mail-Header für ihn zu prüfen, wie damals im Brookline-Fall.«
»Und? Konntest du ihm helfen?«
»Klar. War keine komplizierte Sache. Ging um einen Typ aus Kalifornien. Er hat gar nicht groß versucht, seine IP zu verbergen.«
Das Gespräch plätscherte dahin, und Pattie aß ihren Salat auf. Sie holte sich noch einen Becher Kaffee und nahm ihn mit ins Großraumbüro.
Die Verhaftung von Onkel Sean hatte für großen Aufruhr in der Familie gesorgt. Das war nicht überraschend: In Patties Familie waren alle bei der Polizei, schon seit drei Generationen, und keiner von ihnen war ein schlechter Cop, schon gar nicht Onkel Sean. Das war das Problem in der Abteilung: Alles wurde durch Vorschriften und Dienstanweisungen behindert, durch Kollegen, die sich gegenseitig ausspionierten. Kollegen wie Magnus Jonson.
Pattie teilte nicht unbedingt die einhellige Meinung ihrer Familie. Sie fand, dass ihrem Onkel Sean eine ziemlich schwere Verfehlung vorgeworfen wurde. Und sie hatte ihm nie so recht über den Weg getraut; er war einfach ein bisschen zu oberflächlich, zu selbstsicher. Magnus Jonson kannte Pattie nicht persönlich; doch wenn sie eines wusste, dann, dass man niemals einen Kollegen verpfiff. Niemals.
Sollte sie ihrem Vater erzählen, was sie gerade gehört hatte? Er zumindest war ein ehrlicher Kerl. Er würde wissen, ob sie es weitergeben sollte.
Außerdem würde er ihr das Fell über die Ohren ziehen, wenn sie schwieg und er es irgendwann herausbekam.
Besser, sie sagte ihm Bescheid.
Der Lärm war ohrenbetäubend. Magnus und Árni saßen am hinteren Ende eines langen, niedrigen Raumes tief unter der Erde und hörten sich eine unbegabte Jugendband an, die sich ShrinkWrapped nannte. Sie spielte eine verrückte Mischung aus Reggae und Rap mit einer ganz eigenen isländischen Note. Vielleicht originell, aber es tat in den Ohren weh. Insbesondere in Verbindung mit Magnus’ heftigem Kater. Er hatte gehofft, dass das Essen und die frische Luft seine Kopfschmerzen lindern würden, aber jetzt waren sie schlimmer als zuvor.
Pflichtschuldig war Magnus auf die Dienststelle zurückgekehrt, um Baldur von seinem Gespräch mit Ingileif zu berichten. Baldur teilte Magnus’ Zweifel, ob Ingileifs Ring tatsächlich existierte, aber er verstand auch Magnus’ Argument, dass die Aussicht auf diesen Ring Steve Jubb, den modernen Isildur sowie Agnar angestachelt haben mochte.
Baldur hatte einen seiner Mitarbeiter nach Yorkshire geschickt, um das Haus und den Computer von Steve Jubb zu durchsuchen; sie hatten allerdings Schwierigkeiten, von den britischen Behörden einen Durchsuchungsbeschluss zu bekommen. Wie aus dem Nichts war aus London irgendein Staranwalt aufgetaucht und hatte alle möglichen Einwände erhoben.
Ein weiterer Hinweis, dass hinter diesem Fall ganz großes Geld steckte.
»Ist das deine Musik, Árni?«, fragte Magnus.
Árni sah ihn entgeistert an. Magnus war erleichtert. Wenigstens hatte der Junge Geschmack. Magnus kannte sich so gut wie gar nicht mit isländischer Musik aus, hatte aber in letzter Zeit eine Vorliebe für die ätherischen Klänge von Sigur Rós entwickelt. Etwas ganz anderes als diese Nieten hier.
Die Band machte eine Pause. Stille, endlich Stille.
Pétur Ásgrímsson erhob sich von seinem Stuhl in der Mitte und ging ein paar Schritte auf die Band zu. »Danke, aber das ist nichts«, sagte er.
Die fünf blonden jungen Reggae-Rapper protestierten. »Meldet euch nächstes Jahr noch mal wieder, wenn ihr euren Sound ein bisschen verfeinert habt«, sagte Pétur. »Und werft den Schlagzeuger raus.«
Er wandte sich zu seinen Besuchern um und zog einen der Stühle von der rückwärtigen Wand heran. Pétur war ein großer, eindrucksvoller Mann mit einer schlanken Figur, breiten Schultern und denselben hohen Wangenknochen wie Ingileif. Sein glattrasierter Schädel leuchtete über seinem langen, schmalen Gesicht. Die grauen Augen waren hart und intelligent, rasch musterten sie die beiden
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