Magnus Jonson 01 - Fluch
Magnus.
»Von Pastor Hákon? Willst du damit sagen, sie fanden den Ring, und der Pastor schubste meinen Vater über die Kante, um den Ring für sich zu haben?«
Magnus zuckte mit den Achseln. »Das hast du jetzt gesagt. Was glaubst du denn?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Ingileif. »Der Pastor und mein Vater waren gute Freunde. Mein Vater hatte einen großen Bekanntenkreis, er kam gut mit den Leuten aus, anders als Pastor Hákon. Ich glaube, mein Vater war sein einzig wahrer Freund. Nach Vaters Tod zog sich der Pastor noch mehr zurück und wurde wirklich sonderbar. Ein paar Jahre später verließ ihn seine Frau. Niemand im Dorf machte ihr einen Vorwurf.«
»So könnte auch ein Mensch reagieren, der seinen besten Freund umgebracht hat«, überlegte Magnus. »Ich glaube, ich sollte Pastor Hákon morgen mal einen Besuch abstatten.«
»Kann ich mitkommen?«, fragte Ingileif.
Magnus hob die Augenbrauen.
»Ich kann’s nicht richtig erklären«, sagte sie. »Ich muss herausbekommen, was damals tatsächlich geschah. Es ist schon lange her, und ich habe versucht, das alles zu verdrängen, aber es gibt so viele Fragen, auf die ich keine Antwort habe. Der Mord an Agnar hat das alles wieder aufgewühlt. Ich muss diese Antworten einfach finden, wenn ich mit meinem Leben vorankommen will. Verstehst du das?«
»O ja, das verstehe ich«, erwiderte Magnus. »Das kannst du mir glauben. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich nie etwas anderes mache, als diese Art von Fragen bezüglich meines eigenen Vaters zu beantworten.«
Magnus dachte über ihre Bitte nach. Sicherlich war es nicht gang und gäbe bei Ermittlungen, einen Zeugen zur Befragung eines anderen mitzunehmen, nur um dessen Neugier zu befriedigen. »In Ordnung«, sagte Magnus lächelnd. »Würde mich freuen.«
Ingileif erwiderte das Lächeln. Dann folgte ein Schweigen, das gleichzeitig unbehaglich und angenehm war.
»Erzähl mir doch von deinem Vater!«, sagte Ingileif.
Magnus überlegte. Trank einen Schluck Wein. Warf einen kurzen Blick auf die Frau ihm gegenüber, die ihn mit ihren grauenAugen warm ansah. Auch das war nicht die normale Vorgehens weise bei Ermittlungen. Doch er erzählte. Von seiner frühen Kindheit, der Trennung seiner Eltern, seinem Umzug nach Amerika zu seinem Vater. Von seiner Stiefmutter, dem Mord an seinem Vater und seinen vergeblichen Versuchen, ihn aufzuklären. Und von seiner jüngsten Entdeckung, dass sein Vater untreu gewesen war.
Eine Stunde unterhielten sie sich. Vielleicht sogar zwei. Sie sprachen viel über Magnus, dann redeten sie über Ingileif. Sie leerten die Flasche Wein und öffneten die nächste.
Schließlich erhob sich Magnus und wollte gehen. »Willst du immer noch mit nach Hruni kommen? Zu Pastor Hákon?« »Gern«, sagte Ingileif mit einem Lächeln.
»Gut«, meinte Magnus und zog seine Jacke über. Plötzlich hielt er inne. »Warte mal!«
»Was ist?«
»Dieser Pastor. Dieser Hákon. Hat er vielleicht einen Sohn?« »Ja. Zufällig habe ich ihn heute Vormittag getroffen. Er ist ein alter Freund von mir.«
»Und wie heißt er?«
»Tómas. Tómas Hákonarson. Er ist inzwischen Moderator beim Fernsehen, ziemlich berühmt. Eigentlich müsstest du ihn kennen.« »Ja«, sagte Magnus. »Zufälligerweise kenne ich ihn.«
Nach der Wärme in Ingileifs Wohnung war es kalt und nass auf der Straße. Es nieselte leicht, und eine anhaltende frische Brise überzog Magnus’ Gesicht mit Feuchtigkeit.
Er wusste, dass er nach Hause gehen sollte, aber Ingileif wohnte nicht weit entfernt vom Grand Rokk.
Nur ein Bier.
Während er durch das Labyrinth von kleinen Sträßchen ging, holte Magnus sein Handy hervor. Eigentlich musste er Baldur anrufen und ihm sagen, dass der Mann, der bei ihm in Gewahrsamsaß, der Sohn des Pastors war, der vor siebzehn Jahren den Doktor bei seiner Suche nach dem Ring begleitet hatte.
Magnus hatte Baldurs Privatnummer nicht, auch nicht die von seinem Handy. Aber wenn er auf der Dienststelle anrief, könnte er Baldur eine Nachricht zukommen lassen.
Scheiß drauf. Magnus schob das Mobiltelefon zurück in seine Tasche. Als ob es Baldur interessieren würde! Er würde mit der Information nichts anfangen können. Magnus würde es ihm am nächsten Tag sagen, nachdem er mit Pastor Hákon gesprochen hätte.
Sein Telefon klingelte. Es war Árni.
»Ich bin gerade in San Francisco gelandet«, sagte er. »Da hab ich deine Nachricht bekommen.« Seine Enttäuschung übertrug sich über Tausende von Kilometern von
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