Magnus Jonson 02 - Wut
so betrunken hatte. Jetzt war klar, dass Ísak richtiglag: Die Isländer waren einfach zu
freundlich, zu höflich, um zum Kämpfen auf die Straße zu gehen. Wenigstens Ingileif hatte ihm zugehört. Sie war so wunderschön. Und klug. Er hatte wirklich geglaubt, bei ihr zum Zuge zu kommen, doch dann hatte sich herausgestellt, dass sie mehr von seiner Intelligenz als von seinem Körper beeindruckt war. Vielleicht ein andermal. Wenn sie im Fernsehen von seinem Prozess erfuhr.
Das war ein Problem im Knast: kein Sex. Doch wem machte er jetzt was vor? Es war mindestens ein Jahr her, dass Sindri zum letzten Mal Sex gehabt hatte. Dabei ging es früher immer so einfach.
Vielleicht mit Ingileif?
Nein. Er würde sich auf mehrere Jahre im Knast einstellen müssen. Doch für einige wäre er dann ein Held. Und im Laufe der Zeit würde es immer mehr Menschen geben, die sein Ziel unterstützten, davon war er überzeugt. Er würde so was wie der Nelson Mandela von Island werden.
»Was ist denn so witzig?«, fuhr der Kahlkopf ihn an.
Sindri antwortete zwar nicht, ließ aber das Lächeln auf seinen Lippen ersterben. Besser nicht provozieren.
»Wo ist Harpa?«
Erzähl ich dir nicht, Junge.
»Und Ísak?«, fragte die Schwarze. »Wo ist Ísak? Sind die drei zusammen?«
Erzähl ich dir auch nicht.
Doch für sich selbst beantwortete Sindri die Frage. Ísak war auf der Suche nach Harpa, weil er sie umbringen wollte.
Das passte nicht in Sindris Selbstbild von einem Volkshelden. Irgendwie hätte er Ísak aufhalten, Björn anrufen und ihn warnen sollen. Harpas Tod wäre eine Verschwendung. Und Björn hatte recht, sie war völlig unschuldig.
Sindri konnte jedem in die Augen sehen und sagen, er sei stolz auf das, was er mit Óskar Gunnarsson und Julian Lister getan hatte oder was sie mit Ingólf Arnarson vorhatten. Selbst der Tod von Gabríel Örn konnte gerechtfertigt werden.
Aber nicht Harpa. Harpa umzubringen wäre falsch. Man würde Sindri damit in Verbindung bringen, und zwar durchaus zu Recht. Es war nicht das Gesetz, das Sindri Probleme bereitete – er wusste, dass er vor dem Gesetz ein Mörder war –, nein, es war das Volk. Er könnte Harpas Tod vor der Bevölkerung nicht rechtfertigen. Auch nicht vor sich selbst.
»Was ist, Sindri?«, fragte der Glatzkopf. »Du wirkst besorgt. Wir wissen, dass Björn bei Harpa ist. Ist Ísak auch dabei? Oder ist er woanders?«
Sindri holte tief Luft.
»Erzähl es uns«, sagte der Kahlköpfige freundlich. Zusammen mit der Frau lehnte er sich geduldig zurück.
Sindri dachte darüber nach. Länger. Gründlich. Dann begann er zu reden.
Páll konnte schnell fahren, das musste Magnus ihm lassen. Er hatte das Blaulicht an, selbst wenn es nur von einigen Schafen und Pferden zur Kenntnis genommen wurde.
Die Chancen standen nicht schlecht, dass sie als Erste am Kerlingin-Pass eintreffen würden. Das kleine Kontingent von Beamten aus Stykkishólmur war über die gesamte Halbinsel verteilt, einige überwachten Straßensperren auf den Zufahrtsstraßen.
Páll raste durch das Berserkjahraun, vorbei an der neuen Straße, die nach Borgarnes hinaufführte, und bog direkt in die Spur zum alten Kerlingin-Pass ein. Zur Linken sah Magnus bei Helgafell das blitzende Blaulicht eines zweiten Polizeiwagens, der auf dem Weg nach Stykkishólmur war.
»Ich nehme mal nicht an, dass du zufällig ein Gewehr hinten im Wagen hast, oder?«, fragte Magnus.
»Nein, natürlich nicht«, entgegnete Páll. »Du weißt doch, dass die isländische Polizei keine Waffen trägt.«
»Was ist, wenn Björn bewaffnet ist?«
»Warum sollte er? Er ist nur ein Fischer. Ich weiß genau, dass er keinen Waffenschein hat.«
»Diese Leute in London hatten Waffen. Und die in der Normandie auch.«
»Er aber nicht.«
»Er könnte ein Messer haben«, warf Magnus ein.
Páll schwieg eine Weile. »Sogar ziemlich sicher«, gab er zu.
Als sie über die Schlaglöcher im Boden fuhren, bockte der Wagen wie ein wilder Stier.
»Womit erschießt ihr dann bitte die Eisbären?«, fragte Magnus. Dreimal in den letzten zwei Jahren hatten Eisbären auf treibenden Eisschollen die lange Reise nach Island angetreten, nur um von schießwütigen Polizisten abgeknallt zu werden, sobald sie an Land gingen.
»Das ist was anderes«, sagte der Constable. »Herrgott!« Er hatte Mühe, die Kontrolle über den fast aus der Spur springenden Wagen zu behalten.
Magnus hielt es für besser, Páll nicht mehr beim Fahren abzulenken.
Sein Telefon
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