Magnus Jonson 02 - Wut
klingelte.
»Magnús, hier ist Baldur. Hast du Ísak schon gefunden?«
»Wir sind auf dem Weg zum Pass.«
»Sindri hat endlich geredet. Er sagt, Ísak habe vor, Harpa zu töten. Sie zum Schweigen zu bringen.«
»Weiß Björn Bescheid?«
»Nein. Und Sindri meint, er würde mit Sicherheit nicht damit einverstanden sein.«
»Interessant. Hat er verraten, wer Ingólf Arnarson ist? Und wer der Mörder?«
»Nein. Kein Wort.«
»Habt ihr Björns Bruder erwischt?«
»Ja, wir haben ihn mit aufs Präsidium genommen. Er wirkte überrascht. Er streicht seit acht Uhr heute Morgen den Laden auf der Laugavegur. Das zählt nicht gerade als Vorbereitung für ein Attentat.«
Der Wagen verschwand im Nebel. Die Verbindung wurde
schlechter, Baldur war nur noch bruchstückhaft zu verstehen. »Sag Bescheid, wenn du Ísak gefunden hatte«, sagte er noch, dann legte er auf.
Der Wagen folgte der Spur um das nackte Vulkangestein. Bald ging es wieder abwärts. Die Kerlingin war nicht zu erkennen, auch wenn Magnus wusste, dass die Steinformation irgendwo über ihnen war.
Auf einmal schienen sich die Wolken aufzulösen, sie gelangten in ein felsiges, moosbewachsenes Tal. Links von ihnen war die Hütte, die Tür stand weit offen. Rechts parkte ein Pick-up, dessen Front nach unten zum Fluss wies. Einer der Vorderreifen steckte in einem Loch fest, ein Hinterrad schwebte in der Luft. Die Fahrertür stand offen.
»Langsam! Du nimmst die Hütte, ich den Wagen!«, rief Magnus. Er sprang aus dem Auto, noch bevor es zum Stehen gekommen war, stürzte zum Pick-up und schaute hinein. Nichts. Er suchte den Hügel ab. Etwas weiter oben auf der anderen Seite des Tals lag eine Gestalt ausgestreckt am Hang.
Magnus watete durch den eiskalten Fluss und hastete den Hang hinauf. Es war Björn. Stichverletzung in der Brust. Es sah nicht gut aus für ihn, wenn er nicht sofort medizinisch versorgt wurde.
Zumindest war er bei Bewusstsein. Sein Blick flackerte zu Magnus.
Er stellte die wichtigste Frage: »Wer war das?«
Björn versuchte zu sprechen, doch es fiel ihm schwer. Magnus hielt das Ohr an Björns Lippen. Er hörte genau ein Wort: »Ísak.«
»Wo ist Harpa?«, fragte er.
Björn konnte nicht antworten, richtete aber den Blick nach oben.
»Ist sie den Hang hoch?«, fragte Magnus.
Björn nickte, eine winzige Bewegung seines Kinns.
»Und Ísak ist hinter ihr her?«
Erneutes Nicken.
Magnus versuchte es mit noch einer Frage: »Wer ist Ingólf Arnarson?«
Björn schloss die Augen und drehte den Kopf zur Seite.
Magnus winkte Páll zu, der schwerfällig zum Fluss trabte. »Hol einen Krankenwagen!«, rief er.
Páll hob den Arm zum Zeichen, dass er verstanden hatte, und lief zurück zum Funkgerät im Wagen.
Magnus drehte sich um und schaute den Hang hinauf. Die Wolken schienen sich aufzulösen, zogen nach links durch das Tal davon. Doch er konnte weder Ísak noch Harpa entdecken. Er schloss die Augen und lauschte. Er hörte rauschendes Wasser, das Krächzen eines Raben, Björns schweren Atem und irgendwo über ihm das Poltern von Steinen.
Er lief den Hang hinauf, dem Nebel entgegen.
39
Harpa rannte, so schnell sie konnte, was nicht ansatzweise schnell genug war. Ihre Handgelenke waren das Problem; da sie gefesselt war, konnte sie nicht mit den Armen das Gleichgewicht halten. Außerdem hatte sie die falschen Schuhe an, immer wieder rutschte sie auf dem Geröll aus, dann purzelten Kaskaden von Steinen hinter ihr den Hang hinunter. Alle paar Schritte fiel sie hin. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie sich verletzen würde. Sie hatte das Gefühl, ihr Herz würde jeden Moment aussetzen.
Harpa war von dichtem Nebel umgeben. Abgesehen von ihrem Keuchen und dem immer lauter rauschenden Blut in ihren Ohren hörte sie weiter unten Steine prasseln. Ísak schloss zu ihr auf.
Auf einmal lichtete sich der Nebel. Über ihr war blauer Himmel. Links und rechts erstreckten sich Felsen. Hinter und vor Harpa breitete sich ein dichter grauer Teppich aus. Sie war oben auf dem Kamm, auf dem Grat zwischen zwei Tälern.
Kurz hielt sie inne. Dicht hinter sich hörte sie Ísak. Erneut nahm sie allen Mut zusammen und lief bergab auf die Nebelwand zu. Sie rutschte aus und fiel hin, verdrehte sich ein Knie und schrammte sich das andere auf. Es gelang ihr nicht, einen Schmerzensschrei zu unterdrücken. Der Nebel war nur noch wenige Meter enfernt. Sie humpelte darauf zu.
Als Harpa wieder von der Feuchtigkeit umhüllt wurde, empfand sie unglaubliche Erleichterung.
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