Magnus Jonson 02 - Wut
Obwohl es nicht steil bergab ging, versagte ihr das verletzte Knie den Dienst.
Harpa entdeckte mehrere Felsbrocken zu ihrer Linken. Wenn sie sich dahinter verbarg und ruhig verhielt, würde Ísak sie nicht finden.
Sie änderte die Richtung und steuerte auf die Felsen zu.
Plötzlich hörte sie das regelmäßige Scharren von Ísaks Schritten. Sie konnte ihn nicht sehen, aber es klang, als würde er ihr entgegenkommen. Harpa beschloss, bei ihrem Plan zu bleiben.
Sie warf sich zu Boden und blieb reglos zwischen zwei Felsblöcken liegen. Völlig reglos war sie nicht; ihre Brust hob und senkte sich heftig, ihr Herz raste.
Sekunden später hörte sie Ísak vorbeilaufen. Sie konnte seine Beine sehen. Keine fünf Meter von ihr entfernt blieb er stehen und lauschte. Harpa versuchte, den Atem anzuhalten, doch es gelang ihr immer nur für wenige Sekunden. Ihre Lunge brauchte Luft. Das Geräusch des Einatmens kam ihr laut vor, doch Ísak schien es nicht zu bemerken. Vorsichtig tastete er sich weiter in den Nebel vor.
Harpa stand auf und schlich so lautlos wie möglich quer über den Hang, um den Abstand zu Ísak weiter zu vergrößern.
Auf einmal lichtete sich der Nebel und gab den Blick auf ein Tal frei, das im schwachen Sonnenschein glänzte.
Ísak war hundert Meter links von Harpa, etwas weiter unten. Er hielt inne und suchte den Hang rechts unter sich ab. Dann drehte er sich zu ihr um.
Harpa lief abwärts, so schnell es ihr verletztes Knie erlaubte.
Magnus verschwand im Nebel. Der Abhang war gefährlich, die Felsen waren an manchen Stellen scharf, dann wieder rutschig. Moos, Erde und hin und wieder ein bisschen Gras wechselten sich ab. Immer wieder blieb er stehen, um nach dem Geräusch losgetretener Steine zu lauschen. Er konnte jedoch nichts hören.
Der Nebel war von Vorteil. Wenn Harpa sich still verhielt, würde Ísak sie nicht finden können. Wenn sie nur ein bisschen nachdachte, würde sie sich flach auf den Boden legen und einfach abwarten.
Magnus’ Situation war eine andere. Er verursachte jede Menge Lärm, und sein Gegner besaß ein Messer, das er gerade eingesetzt
hatte. Und Magnus war unbewaffnet. Wenn er doch nur eine Waffe hätte! Nach den Dienstvorschriften müsste er sich nun im Hintergrund halten und auf Unterstützung warten.
Scheiß drauf! Von allem anderen einmal abgesehen, wäre die Verstärkung ebenfalls unbewaffnet.
Er drängte voran.
Mit klopfendem Herzen fand er eine flache Kuhle zwischen zwei windzerfressenen Felsen. Er hatte den Eindruck, auf dem Kamm zwischen zwei Tälern zu sein.
Magnus hörte, dass jemand stürzte und aufschrie. Es klang, als käme es von rechts, von weiter unten, nicht sehr weit entfernt.
Er änderte die Richtung und lief auf das Geräusch zu. Es ging bergab. Sekunden später ließ er die Wolken hinter sich. Unter ihm war ein neues Tal, stärker mit Gras bewachsen als das andere, das er gerade hinter sich gelassen hatte. Mitten hindurch verlief eine Straße aus jungfräulichem schwarzem Asphalt.
Zweihundert Meter weiter unten sah er Harpa den Hang hinabrutschen, dicht gefolgt von Ísak. Sie hatte Schwierigkeiten, mit ihren vor dem Körper gefesselten Händen das Gleichgewicht zu halten.
Magnus hastete den beiden nach. Bestürzt stellte er fest, dass Harpa auf eine ungefähr fünfzehn Meter hohe Felskuppe zusteuerte. Offensichtlich konnte sie nicht erkennen, dass sie schroff nach unten abfiel. »Nach links!«, rief er. »Lauf nach links!«
Doch sie ignorierte ihn. Eine Sekunde lang sah es so aus, als würde sie sich vom Vorsprung stürzen, doch sie blieb gerade noch rechtzeitig stehen. Drehte sich um. Sah Ísak hinter sich. Harpa schlüpfte in eine Felsspalte.
Auf einem schmalen Vorsprung hielt sie inne und begann, sich ungelenk an der nackten Felswand entlangzuhangeln, den Rücken zur Wand, die Hände vor sich ausgestreckt.
Ísak zögerte oben auf der Kuppe. Als er sich umsah, entdeckte er, dass Magnus den Hang hinunter auf ihn zukam.
»Warte, Ísak!«, rief Magnus.
Der Student schaute nach unten und ließ sich ebenfalls in die Felsspalte rutschen.
Magnus brauchte eine Minute, bis er vor Ort war. Unter ihm auf dem Vorsprung konnte Harpa nicht weiter. Sie saß in der Falle. Zentimeterweise rückte Ísak ihr mit gezücktem Messer näher. Es war noch Blut von Björn an der Klinge.
»Nimm das Messer runter, Ísak!«, rief Magnus. »Es ist jetzt sinnlos, Harpa umzubringen.«
Ísak zögerte. Anscheinend hörte er zu.
»Sindri hat geredet. Wir wissen,
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