Magyria 01 - Das Herz des Schattens
vielleicht oder vielleicht auch nicht. Nichts, gar nichts wollte sie erwidern, nur lauschen, wie er sprach. Wenn Kununs Stimme schön und dunkel wie die Nacht war, eine Stimme wie schwarze Seide, verführerisch und fesselnd, so war Mattims Stimme wie ein Lied im Frühling, wie ein Morgen, der anbrach und mit seiner Kraft die Dunkelheit vertrieb.
Der junge Prinz lachte. »Was ist? Wenn du mich so ansiehst, werde ich ganz verlegen.«
Hanna schirmte die Augen mit einer Hand ab und lugte durch die Finger. Und bemerkte seinen Blick, der auf ihr ruhte, als wäre auch in ihr all das, was sie in ihm sah. Ein Frühling, von dem man sich wünschte, er möge nie enden. Niemals hatte Maik sie so angeschaut, so, als würde er sterben müssen, wenn er sich von ihr abwandte.
»Du bist der Prinz des Lichts«, flüsterte sie. »Ich glaube, ich verstehe allmählich, was das heißt.«
»Ich habe es verloren«, sagte er leise, und sie schauderte, als sie den Schmerz in seiner Stimme hörte. Konnte es sein, dass er zu irgendeiner Zeit mehr geleuchtet hatte als jetzt, dass er mehr gewesen war als das, was sie vor sich hatte?
»Du hast es nicht verloren. Es ist da, in dir.«
Ihre Blicke versanken ineinander. Das Gefühl war so intensiv, dass es kaum zu ertragen war, bis Hanna schließlich
leise lachte, den Kopf schüttelte und in die Wirklichkeit zurückkehrte.
»Eins verstehe ich beim besten Willen nicht«, sagte sie. »Du sagst, du bist in Kununs Keller gelandet? Dabei hat dieses Haus doch gar keinen Keller. Die Treppe endet im Erdgeschoss, darunter ist nichts. Und im Fahrstuhl gibt es auch keinen Knopf für ein Kellergeschoss.«
»Das Haus hat sehr wohl einen Keller«, entgegnete Mattim, und sofort verdüsterte sich seine Miene. Es war, als würde die Sonne untergehen. »Aber niemand gelangt ohne Kununs Erlaubnis hinunter und geht durch die Pforte nach Magyria. Man muss die Knöpfe in einer bestimmten Reihenfolge drücken, damit der Fahrstuhl ganz nach unten fährt. Ich glaube nicht, dass er mir jemals so weit vertrauen wird, dass er mich einweiht.«
Der Zauber war zerstört. Hanna erblickte in ihm nichts als einen Jungen, dessen Traurigkeit schwer auf seinen Schultern lastete. Sein blondes Haar fiel ihm über die Augen. Wieso hatte sie jemals geglaubt, er könnte es mit Kunun aufnehmen?
Hanna fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Ihr war, als hätte Kunun dieses Haus und jeden einzelnen Raum mit seiner Gegenwart getränkt und vergiftet, mit seiner Dunkelheit, sodass man selbst dann, wenn er gar nicht da war, gegen ihn kämpfen musste.
»Wir werden diesen geheimen Keller finden«, versprach sie. Sie ergriff Mattims Hände und hielt ihn fest, es war, als müsste sie einen Ertrinkenden retten. »Wenn dir so viel daran liegt …« Mit der Hoffnung und dem Mut beschlich sie von irgendwoher eine neue Angst. Was ist, wenn er geht? Wenn wir die Pforte finden und er verschwindet einfach, in seine eigene Welt, und dann wird es sein, als wäre er nichts als ein Traum gewesen …
» Warum ist es so wichtig?«, fragte sie bang. »Weil du nach Hause willst?«
»Ich kann nicht mehr zurück«, sagte Mattim. Seine Augen erinnerten sie an die Löwen, die immer vor der Tür stehen mussten, still und steinern. »Ich wollte das Geheimnis der Vampire lüften, und genau das habe ich getan. Von den Menschen beziehen sie ihre widernatürliche Kraft. Doch was nützt dieses Wissen, wenn ich nicht auch herausfinde, wie man die Pforte zwischen den Welten schließen kann? Ich muss Kunun und die anderen Schatten irgendwie von der Quelle ihrer Macht abschneiden. Ich habe noch lange nicht getan, was ich tun muss, und dabei weiß ich noch nicht einmal, ob es mir überhaupt gelingen wird, alleine hindurchzugehen. Bisher war immer jemand dabei. Beim ersten Mal Atschorek, beim letzten Mal Kunun und seine Jagdgesellschaft.« Er stieß ein kleines, bitteres Lachen aus. »Irgendwie muss ich diese Pforte schließen, und wenn es das Letzte ist, was ich tue.«
»Das wirst du.« Als hätte sie es in der Hand, ausgerechnet sie! »Wir werden einen Weg in diesen Keller finden.« Ihre Zuversicht übertrug sich auf Mattim.
»Ja«, sagte er leise. »Ich schaffe es. Meine Eltern und meine Freunde in Akink sollen erfahren, dass ich kein Ungeheuer geworden bin. Dass ich immer noch für Akink kämpfe. Dass Kunun mich nicht besiegen wird, auch wenn er die anderen alle auf seine Seite zieht.«
»Du bist kein Ungeheuer!« Sie legte die Hand auf seine Schulter, tröstend,
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