Magyria 01 - Das Herz des Schattens
sie auf, es verbrennt die Dunkelheit zu Asche. Die Nacht ist der heilsame Mantel, der uns schützt und uns in sich birgt. Und doch, das ist nicht alles. Dunkelheit zerreißt, Licht schließt die Wunden. Allein das Licht kann die Verletzungen heilen, welche die Finsternis geschlagen hat.« Seine Stimme klang sanft und ohne Hall durch den Hof, wie ein goldener Vogel, der seine Schwingen ausbreitete und von Geländer zu Geländer schwebte. »Dort in Akink wartet es auf uns. Die Rettung, die wir uns erobern müssen, denn sie wird niemals freiwillig zu uns kommen. Ich biete es dir immer noch an. Zieh an meiner Seite gegen Akink. Im Licht, wenn Tag und Nacht sich vereinen, wird alles heilen.«
Mattim öffnete den Mund.
Nie, würde er sagen, das wusste Hanna. Niemals ziehe ich mit dir gegen meine Stadt, lieber sterbe ich!
Aber Mattim starrte auf Kunun. Sein Arm sank herab. Über ihm hing, bereit, Atschoreks Schwert.
»Dort wird es heilen?«, fragte er. »In Akink? Alles?«
»Allein aus diesem Grund führe ich die Schatten gegen die Stadt des Lichts«, sagte der Vampir. »Ich bin nicht so böse, wie du vielleicht denkst. Jede deiner Wunden wird heilen, im Licht. Du gehörst an meine Seite, Mattim.«
Atschoreks Schwert senkte sich über ihn.
Da beugte er den Kopf. Und er beugte die Knie.
»Das wusste ich nicht«, sagte Mattim leise. »Ich glaubte
… Dann bin ich an deiner Seite, Bruder.« Er hob den Blick und sah Kunun an, mit einem Gesicht, in dem etwas Neues glänzte, eine Freude, über die Hanna erschrak. Da schien etwas von innen zu erstrahlen, als würde das Licht gleich aus ihm herauskommen und alle Schatten hinwegfegen. Ein
Lächeln glitt über die Züge des Prinzen, in dem Triumph aufleuchtete, und ein fast schon wölfisches Zähnefletschen, als wollte er zugleich angreifen und sich beugen.
In seinem Blick lag nichts mehr von dem geschlagenen Helden, der bereit war zu sterben. Keine Verzweiflung mehr. Nur dieses wilde Lächeln, vor dem sie sich auf einmal fürchtete.
»Nach Akink?«, fragte Atschorek misstrauisch.
Mattim erwiderte ihren Blick.
»Nach Akink«, bestätigte er. Und legte das Schwert auf den Boden.
»Dann stört dich wohl auch das nicht«, sagte sie, ergriff seine Hand und schnitt mit der rasiermesserscharfen Klinge hinein.
Hanna schluchzte auf. »Mattim!« Sie wollte zu ihm eilen und ihn umarmen, froh sein, dass er lebte, aber all das konnte sie nicht tun. Wie hatte er sein Schwert vor Kunun niederlegen können, der dort oben stand, triumphierend wie ein siegreicher Gott? Mattim, mit diesem merkwürdig glücklichen Lächeln, plötzlich ein Fremder …
»Auch das«, meinte Atschorek und hob das Schwert gegen das Gesicht ihres Bruders, »wird dich nicht kümmern, wenn wir doch bald in Akink einziehen.«
»Genug«, befahl Kunun mit scharfer Stimme, bevor die Klinge Mattims Haut ritzte.
Atschorek ließ sofort das Schwert sinken. Aber im nächsten Augenblick erhob sie es wieder, trat auf Hanna zu und legte ihr die schwere Klinge auf die Schulter, als wolle sie das Mädchen zum Ritter schlagen. So dicht an ihrem Hals lag die Schneide, nur einen Hauch von ihrer Haut entfernt, Hanna spürte das kalte Metall, als würde es dort atmen. Ein Schreckenslaut entfuhr ihr, ein Wimmern, doch Mattim, nur wenige Schritte von ihr entfernt, stand reglos da und machte keinerlei Anstalten, sein Schwert aufzuheben und zu kämpfen.
Er sah sie nur stumm an. Die Lichter malten ihm ein Muster aus Schatten auf die Wangen. Irgendwo über ihnen begann ein neuer Morgen, fahl und fremd, nur der Hauch eines Beginns. Mattims Blick, von einer Tiefe erfüllt, die Hanna nicht erahnt hatte. Er bewegte nicht die Lippen, um ihr eine Botschaft zuzuflüstern. Es war nur da, in seinen Augen, ein Versprechen.
Ich liebe dich. Vertrau mir.
Dann, als hätte es diese kurze Zwiesprache nie gegeben, wandte er sich an Kunun. »Was immer du beschließt«, sagte er, »mein Bruder und mein König.«
Der Schattenprinz lächelte. »Du wirst uns den Sieg bringen, kleiner Bruder. Das weiß ich. Das habe ich immer gewusst.«
»Und?«, fragte Atschorek.
Hanna wagte nicht, sich zu rühren. Eingefroren, statuenstill verharrte sie, doch dann begann ein Zittern in ihren Beinen und breitete sich von dort aus, kaum zu bändigen. Trotz allem blickte sie nicht zu Kunun hin, um ihn das Urteil verkündigen zu hören. Auch nicht zu Atschorek, die so dicht vor ihr stand, als wollte sie mit ihr tanzen. Mattim wirkte so fremd, so unheimlich fremd
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