Magyria 01 - Das Herz des Schattens
machen.«
»Ja«, sagte Réka.
Mattim zog Hanna weiter. Die beiden sprachen nicht darüber, dass es wehtat. Auch nicht darüber, dass sie nicht mehr wussten, wie Kunun aufgehalten werden konnte. Die gesamte Fahrt über sagte keiner von ihnen ein Wort. In der
Metró lehnte Hanna den Kopf an seine Schulter. Am Baross tér küsste er sie auf der Treppe nach oben. Er blieb einfach stehen, mitten im Gedränge der nach oben strebenden Menschen, und hielt sie noch einmal fest. Dann standen sie vor dem grauen Haus, über dessen Eingang der Löwe wachte.
Mattim klopfte.
Goran öffnete ihnen. Sie warf Hanna einen interessierten Blick zu und nickte. »Du hast dein Mädchen mitgebracht.«
»Kunun wollte es so«, erklärte Mattim.
»Dann kommt.« Die junge Schattenfrau hielt die Tür auf, und sie konnten durch den Flur hindurch in den erleuchteten Hof blicken. »Dort entlang, Prinz Mattim.«
Im Hof warfen die Lampen von allen Seiten ihr Licht auf den steinernen Brunnen und die sitzenden Löwen. Über ihnen, an den umlaufenden Balkongittern, standen die Vampire, abwartend darübergebeugt. Hanna hätte nie gedacht, dass es so viele waren. Auf allen Stockwerken standen sie, ohne eine einzige Lücke frei zu lassen. Stumm blickten sie in den Hof hinunter. In der ersten Etage, direkt vor ihm, hatte Kunun Platz genommen, wie ein König in einer Loge. Mattim blieb stehen und sah zu ihm hoch. Er hielt Hannas Hand so fest, dass es wehtat, blieb äußerlich jedoch ganz ruhig.
»Ich bin gekommen«, sagte er. »Wie es aussieht, bin ich nicht der Einzige, den du heute eingeladen hast.«
Hanna hatte nichts gehört. Als Mattim plötzlich zur Seite sprang und sie mitriss, war sie so überrascht, dass sie kurz aufschrie, dann erst erblickte auch sie die rothaarige Gestalt vor sich. Atschorek, ein langes Schwert in der Hand, ihr Gesicht schön und hell wie aus Stein gemeißelt, die Augen funkelnd, unsterblich schöne Todesbringerin.
»Lauf!«, schrie Mattim und versetzte seiner Freundin einen Stoß, zum Brunnen hin. Schnell brachte Hanna das große Becken zwischen sich und die Angreiferin, doch dann
sah sie, dass Mattim einfach stehen geblieben war, direkt vor Atschorek. Er bot ihr die Stirn.
»Mattim!«, rief Hanna. »Mattim!«
Der Prinz rührte sich nicht von der Stelle. »Wo ist meine Waffe, Kunun?«, fragte er, ohne den Blick nach oben zum Balkon zu wenden.
Sie hörten das leise Lachen des Vampirs.
Atschorek machte einen Schritt auf Mattim zu. Er ließ sich ohne zu zögern nach hinten fallen, rollte zur Seite und sprang einige Meter weiter wieder auf neben einem der steinernen Löwen. Hanna beobachtete, wie er mit beiden Händen das mähnenumwallte Haupt der Steinfigur packte, aber der Löwe war zu schwer, um ihn hochzuheben.
Ohne ein Wort kam Atschorek wieder auf ihn zu.
Hannas Hände krallten sich in den Marmorrand des Beckens. Sie blickte sich nach einer Waffe um, nach irgendetwas, womit sie Mattim helfen konnte. Wie sollte er mit bloßen Händen gegen Atschoreks Schwert bestehen? Doch der Hof enthielt nichts, was man zweckentfremden konnte. Keine Spaten oder … Da hinten an der Wand, nahe dem Eingang, lehnte ein Besen. Hatte Kunun den Platz vorher etwa noch ausfegen lassen, um seinen Schatten ein würdiges Schauspiel zu liefern? Um an den Besen zu kommen, musste sie ihre Deckung aufgeben. Atschorek versuchte ihren Bruder in eine Ecke zu drängen und schien nicht auf Hanna zu achten. Sie sah schnell zu den Zuschauern hoch, die immer noch stumm dem ungleichen Kampf beiwohnten. Wahrscheinlich würden sie Atschorek warnen, aber wenn sie schnell genug war … Hanna lief los. Die wenigen Meter bis zum breiten Flur kamen ihr vor wie ein Gewaltmarsch. Kein Vampir wachte in der Eingangshalle. Sie konnte aus dem Haus laufen, und niemand würde sie aufhalten. Sofern die Tür draußen nicht abgeschlossen war … Der Gedanke an Flucht streifte sie nur kurz, dann umklammerte sie mit einer Hand schon den Besenstiel. Damit stürmte Hanna
auf Atschorek los, ohne darüber nachzudenken, wie wenig sie mit dieser lächerlichen Waffe ausrichten konnte. Als sie ausholte, drehte die Vampirin sich um und fing den Hieb mit dem Schwert auf.
Der Besen zersplitterte und wurde ihr aus der Hand geschlagen, und im selben Moment sprang Mattim Atschorek in den Rücken und verhinderte den zweiten Schlag. Die beiden Geschwister taumelten zur Seite.
»Lauf, Hanna!«
Dort lockte der Ausgang, unbewacht … Hanna hastete wieder zurück, hinter den Brunnen. Und
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