Magyria 01 - Das Herz des Schattens
ihm vorbei, während sie das Kaffeepulver mit einem Löffel wieder herausschabte.
»Ich wollte nur nachsehen, warum es so lange dauert. Wenn du dabei gewesen wärst, in der Badewanne zu ertrinken, hätte ich dich retten können.«
»Du hättest auch klopfen und fragen können, ob alles in Ordnung ist!«
»Hab ich, aber du hast mich nicht gehört.« Er grinste an ihr vorbei, zur Wand hin. »Bist du sehr böse?«
Sie kämpfte die Röte nieder, die ihr ins Gesicht steigen wollten. Die Kaffeemaschine röchelte erschrocken, als sie eingeschaltet wurde, was in dieser Situation wenig hilfreich war. »Gleiches Recht für alle.«
Das Lächeln verschwand von seinen Lippen. »Das willst du nicht.«
»Doch«, widersprach sie. »Zeig es mir, Mattim.«
Sie dachte, er würde wieder protestieren. Doch er sah sie nur an, mit ruhigen grauen Augen, und wieder kam er ihr viel älter vor, alt wie das Licht selbst.
Langsam schälte der Junge sich aus seinem Hemd.
Hanna schlug die Hand vor den Mund. »Oh Gott.«
Mattims Lächeln wirkte gequält. »Ich bin sicher, Atschorek hätte gerne weitergemacht.«
Die Schnitte in seinen Oberarmen waren wie tiefe Kerben im Fleisch. Seine Schwester hatte ihn öfter getroffen, als Hanna überhaupt mitbekommen hatte. Und die Wunde in seiner Seite wäre vielleicht sogar tödlich gewesen, ein klaffendes Loch auf der Höhe des Nabels.
»Ist es nicht merkwürdig«, sagte Mattim leise. »Das zu sehen und sich daran zu erinnern, wer ich bin … Manchmal vergesse ich es fast selbst. Vielleicht wollte ich dir die Wunden nicht zeigen, weil ich hoffe, dass du es auch vergisst. Wenigstens hin und wieder, zwischendurch … Aber das bin ich, Hanna. Und es wird nicht heilen. Ein toter Körper voll blutiger Wunden.«
Sie legte die Hände auf seine Schultern und streichelte sanft über seine Haut. Ihre Finger malten Muster um die Schnitte und Stiche herum, als wollte sie schwarze Ornamente auf eine weiße Wand zeichnen. Mattim schauderte unter den Berührungen, aber er hielt still. Langsam ging sie um ihn herum. Dort hatte die Wölfin die Spuren ihrer Krallen hinterlassen, blasse Streifen auf seinem Rücken. Sie küsste beide Schulterblätter. Doch nur die Kaffeemaschine stöhnte auf.
»Tu das nicht«, flüsterte er. »Du hast keine Ahnung, wie intensiv ich das empfinde.«
»Musst du los, um Akink zu retten? Jetzt?«
»Heute Abend. Ich will die Nachtpatrouille treffen.«
Während sie sich leise unterhielten, hörten ihre Hände nicht auf. Jede Stelle, jeden Quadratzentimeter Haut wollte sie anfassen, wollte sie küssen. Jede Wunde, jede Narbe, als könnte sie diese damit heilen und schließen.
»Du bist nicht tot«, sagte Hanna. »Was immer sie dir auch gesagt haben, was mit dir geschehen ist, tot bist du nicht … nur verwandelt. Du musst dich an merkwürdige Regeln halten, um gegen das Licht zu bestehen, aber nenn dich nie wieder tot. Du bist genauso lebendig wie ich.«
»Dann hast du also gar keine Angst?«
»Vor dir?« Sie lachte leise. »Wo hat der Wolf dich gebissen? Ich habe nichts gefunden.«
»Tiefer.«
»Ungefähr da?«
Die Kaffeemaschine hatte aufgehört zu gurgeln. Der Duft erfüllte die Küche.
Später würde er auch noch heiß sein, der Kaffee.
»Du hast mir immer noch nicht gesagt, wie du Akink retten willst.«
Die beiden lagen auf dem Sofa, eng aneinandergeschmiegt. Auf dem Tisch stapelten sich Tassen und vollgekrümelte Teller. Das Ticken der Standuhr fiel Mattim auf einmal auf, das unerbittliche Fortschreiten der Zeit.
»Licht heilt die Wunden«, sagte er.
»Das ist alles? Licht heilt die Wunden?«
»Das hat er mir schon damals gesagt. Als ich ihn angegriffen habe, nach der Situation im Fahrstuhl … In Akink wird es heilen. Daran glaubt er.«
»Glaubst du es denn auch?« Hanna stützte sich auf einen Ellbogen und sah ihm ins Gesicht, forschend.
»Ich weiß es nicht. Vielleicht kann das Licht eine Wunde schließen, vielleicht würde es noch tiefere Wunden in mich brennen … ich habe mitbekommen, was mit den Schatten in meiner Nähe geschah.« Er sah Morrit vor sich. Ein Bild, das sich nicht auslöschen ließ. Morrit, der auf ihn zugekrochen kam, um durch sein Licht zu sterben …
»Können wir uns noch einmal anhören, was Kunun zu Réka gesagt hat?«
Hanna blinzelte schläfrig, trotzdem rappelte sie sich auf. Mattim folgte ihr die Treppe hinauf in ihr Zimmer
»Soll ich dir die Worte aufschreiben?«, fragte sie. »Wenn du mir genau sagst, welche Stelle wichtig
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