Magyria 01 - Das Herz des Schattens
ist?«
»Nur die letzten Sätze«, sagte er. »Und nein, schreib es nicht auf. Jemand könnte es finden … Da, das ist es.«
Zum zweiten Mal hörten sie Kunun sagen: »Er macht sich also Sorgen, die Pforte könnte mir eines Tages verschlossen sein? Ein Riss in der Welt, geöffnet von der Klaue der Dunkelheit? Der Kleine sollte sich über ganz andere Dinge Sorgen machen.«
»Die Pforte«, sagte Mattim. »Ein Riss, von der Dunkelheit geöffnet. Eine Wunde in der Wirklichkeit. Dunkelheit zerreißt, Licht heilt die Wunden. Als mein Bruder das sagte, heute Nacht, da habe ich es endlich begriffen. Das Licht wird die losen Enden wieder zusammenfügen. Die Wunde heilen oder verschmelzen - in diesem Fall ist es dasselbe. Allein das Licht vermag die Pforte zu schließen, nichts sonst. Kunun hat es nicht nur Réka gesagt, sondern auch mir. Ich hatte Recht, er muss darüber reden, und er tut es ständig. Ich hätte besser zuhören sollen.«
»Das Licht«, sagte Hanna nachdenklich. »Nur - wie?«
»Wenn ich es bloß könnte«, murmelte Mattim, und wieder wog es so schwer, was er nicht mehr war, vielleicht schwerer als jemals zuvor. »Wenn mein Vater Morrit zu den Schatten geschickt hätte, dann hätte ich nicht gehen müssen. Morrit hätte mir gesagt, was nötig ist. Daraufhin wäre
ich losgegangen und hätte es getan. Aber manchmal geht das Schicksal andere Wege, verschlungener und gefährlicher … Einer von ihnen muss kommen, Hanna. Mein Vater oder meine Mutter, in die Höhle, bis zu Kununs Pforte. Wenn die Schatten auf ihren nächsten Jagdausflug gehen, wird keiner von ihnen zurückkehren. Denn das Licht wird den Zugang zusammenschweißen, so dass niemand mehr hindurchgelangen kann.«
»So einfach«, sagte Hanna verwundert.
Er lachte unfroh. »Einfach? Den König des Lichts dazu zu bringen, Akink zu verlassen und mir in eine dunkle Höhle zu folgen? Du kennst meinen Vater nicht. Das wird er niemals tun. Aber vielleicht kann ich meine Mutter dazu bewegen. Nun, ich werde sehen, was sich machen lässt.«
»Was, wenn sie dir nicht glauben …«
»Ich weiß«, sagte er und dachte wieder an Morrit. An das Feuer, das vor seinen Augen tanzte, wild und verzehrend.
»Du hast eine gefährliche Familie«, sagte Hanna ernst.
»Nun ja«, erwiderte er leichthin, »wer hat die nicht?«
»Halt still.« Atschoreks Hände auf seiner Haut. »Du hättest gleich kommen sollen. Wo treibst du dich nur so lange herum? Bei deiner Kleinen? Und, hat es sich wenigstens gelohnt?«
»Au!«
»Es muss nicht wehtun, wenn du es nicht zulässt. Stell dich nicht so an.«
Seine Schwester jagte ihm die Nadel durch die Haut. Seine Hand hatte sie schon genäht, mit feinen Stichen, ohne mit der Wimper zu zucken. Kaum war er zur Tür herein, hatte sie ihn ins Badezimmer geschleift, ihm das Hemd ausgezogen und sich den Schaden angesehen, den sie angerichtet hatte.
Mattim konnte sich eine bissige Bemerkung nicht
verkneifen.«Du hättest gerne weitergemacht, stimmt’s? Wenn Kunun dich gelassen hätte.«
»Und du hättest mich nicht schonen dürfen.« Eine steile Falte zwischen Atschoreks Augenbrauen verriet ihren Zorn. »Alle haben es gemerkt.«
»Ist das denn so schlimm? Du wusstest, dass ich ganz gut bin. Sonst wäre ich nicht in der Nachtwache.«
»Du bist nicht mehr in der Nachtwache.« Grimmig bohrte sie die Nadel in seine Schulter.
Er lachte, ein Lachen so leicht wie eine schwebende Feder. So leicht, wie er sich fühlte. Nicht einmal mit ihrer spitzen Nadel und ihrer noch spitzeren Zunge konnte Atschorek ihn von seinem Höhenflug herunterholen. »Du bist allerdings auch nicht schlecht. Zusammen könnten wir die Brücke erobern und Akink im Sturm einnehmen.«
»Redet man immer noch davon?« Atschorek runzelte die Stirn, doch er merkte, dass sie geschmeichelt war, wenn auch gegen ihren Willen.
»Wie du über die Brücke gestürmt bist?« Nur ein alter Mann, wispernd vor den Bildern, den verbotenen, erinnerte sich noch an die alten Geschichten. Aber er wollte sie nicht kränken. »Ich habe mich gefragt, wie du wohl bist«, sagte er. »Ein Mädchen, das so etwas fertigbringt … Hast du Kunun nicht gehasst dafür, dass er dir die Wölfe auf den Hals gehetzt hat?«
»Kunun hassen? Er ist mein Bruder.« Atschoreks Blick, unergründlich. »Er glaubt, du wärst jetzt auf seiner Seite. Er sieht dich schon neben sich auf dem Thron. Lass dir eines gesagt sein, Mattim, ich traue dir nicht. Da kannst du noch so oft auf die Knie fallen.«
Der junge
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