Magyria 01 - Das Herz des Schattens
hatte.
»Still!«, befahl Morrit plötzlich.
Sie horchten. Nichts hatte sich verändert, trotzdem hatte die Stille draußen auf einmal einen anderen Klang, und selbst das Knarzen der geflochtenen Stühle drinnen schien anders als eben noch.
»Stellt den Tisch vor die Fenster.« Morrit gab seine Anweisungen mit ruhiger, gefasster Stimme, als wäre alles wie immer. »Und schiebt den Schrank dort vor die Tür. Wir müssen …«
Der Klang von Pferdehufen drang durch die Stille wie Donner.
»Macht die Tür wieder auf!«, rief jemand. »Das könnten Überlebende sein.«
»Niemand öffnet die Tür«, bellte Morrit, als eine der Wächterinnen bereits die Hand an den Riegel legte. »Mattim, du gehst ins Obergeschoss. Du und du, ihr begleitet ihn. Seht nach, ob ihr durch die oberen Fenster etwas erkennen könnt.«
Sie stürmten die steile Stiege nach oben. Die Fenster waren blind von Staub und Schmutz. Mattim riss so heftig am Riegel, dass er abbrach, und durch das aufschwingende Fenster starrte er hinaus auf die staubige Straße. Es war kein Pferd zu sehen. »Hier ist nichts«, rief er.
»Ich habe etwas gesehen«, flüsterte Goran hinter ihm. »Irgendetwas ist dort hinten verschwunden, zwischen den beiden Häusern dort.«
»Ein Wolf? Ein Reiter?«, fragte der andere Wächter.
»Wenn es ein Reiter ist, müssen wir ihm sagen, wer wir sind«, fand Mattim. »Er ist verloren, alleine da draußen.«
»Und wenn es ein Schatten ist?«
Die Sonne war gerade dabei unterzugehen und noch glühten ihre Strahlen auf den Dächern. Fast hätte er eingewandt, dass es aus diesem Grund kein Schatten sein konnte, aber da er sich nicht mehr sicher war, ob die Schatten es nicht doch vermochten, das Licht zu ertragen, hielt er es für besser, zu schweigen.
»Da! Ein Pferd!« Diesmal hatten sie gesehen, woher es gekommen war - aus dem Stall, aus ihrem Stall! »Es ist eins von unseren!« Sie riefen es nach unten: »Es sind unsere Pferde! Jemand lässt sie heraus!«
Wieder galoppierte ein Pferd durchs Dorf. Mattim verrenkte sich fast den Hals bei dem Versuch zu erkennen, ob ein Wolf es jagte, konnte allerdings von hier nichts erkennen, da das Dach des Stallgebäudes direkt unter ihnen die Sicht versperrte.
»Du bleibst oben, Mattim!«, befahl Morrit, während er und ein paar andere Soldaten ins Nebengebäude stürzten.
Dem Prinzen blieb nichts anderes übrig, als am Fenster zu verharren und zu beobachten, wie noch zwei weitere Pferde entkamen. Schließlich kehrte Morrit fluchend zurück. »Fünf. Fünf weg! Welcher Idiot hat die Tür aufgelassen?«
Die Wächter sahen sich an.
»Ich hatte sie verriegelt«, sagte einer schließlich.
»Sicher?«
»Ganz sicher.«
Morrit schüttelte den Kopf. »Dann müssen wir Wachen abstellen. Das darf nicht noch einmal passieren.«
»Irgendetwas hat sie vermutlich erschreckt«, meinte Mattim, während er nach unten kletterte. »Meinst du, es waren die Wölfe? Ihr Geruch?«
»Wer hat dir erlaubt, herunterzukommen?«, fragte Morrit böse. »Geh, bitte«, sagte er etwas leiser. »Wenn sie in den Stall konnten, hätten sie nur durch die Verbindungstür gehen müssen, um ins Haus zu gelangen.«
»Wölfe öffnen keine Türen«, gab Mattim zurück. »Und wenn es Schatten waren, bin ich euer bester Schutz. Schick mich nicht weg. Sie werden sich nicht in meine Nähe trauen.«
»Für Schatten ist es noch zu früh«, knurrte Morrit, aber diesmal schickte er den Prinzen nicht fort.
»Wir müssen schlafen«, verkündete er. »Wir brauchen unsere Kraft, wenn sie angreifen.« Er teilte die Wächter in zwei Schichten ein. Diejenigen, die schlafen durften, richteten sich im Obergeschoss ein Lager her, die anderen wachten an Fenstern und Türen: fünf oben, fünf im Erdgeschoss, fünf im Stall.
Mattim gehörte zu jenen, die zuerst ruhen sollten. Er rechnete nicht damit, dass er auch nur ein Auge zutun würde auf dem harten Bretterboden, nur in eine Decke gehüllt, während an jedem Fenster eine Wache stand.
»Du hast doch nichts dagegen?« Mirita schlüpfte in die Lücke zwischen ihm und dem nächsten Wächter und wickelte sich munter in ihre Decke.
»Ich dachte, du hast die erste Wache?«, flüsterte er.
»Ich konnte Morrit überreden, mich für die nächste Schicht einzuteilen. Ich bin einfach zu müde«, erklärte sie.
»Dann schlaf gut.«
»Ja. Du auch.«
Mirita schloss die Augen. Die kleine Lampe, die sie an einen Balken gehängt hatten, warf einen gelblichen Schein auf ihr Gesicht. Mattim versuchte
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