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Magyria 01 - Das Herz des Schattens

Titel: Magyria 01 - Das Herz des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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die Augen offen zu halten, aber die Müdigkeit überwältigte ihn wie ein übermächtiger Feind. Sie zog ihn hinab in den Traum, in dem die Wölfe auf ihn warteten, in einen Traum, in dem die Kratzer auf seinem Rücken aufbrannten, so heftig, bis er sich umdrehte und lange Haare aus den Furchen wachsen sah. Seine Hände, mit denen er die kleinen Wölfe gestreichelt hatte, glühten heiß, als hätte er sie in Flammen getaucht, und elfenbeinfarbene Krallen ragten aus seinen Fingern, aus seiner
Hand, die sich zur Pfote krümmte. In seinem Traum wehrte er sich nicht gegen die Verwandlung, denn sie schien ihm richtig und angemessen, die logische Folge dessen, was er je getan, gesagt und geträumt hatte. Er warf sich nach vorne, in einen gewaltigen Sprung, über die anderen Wölfe hinweg und erblickte über sich den Mond.
    Komm, Bruder.
    Er schrak hoch, seine Hände strichen über den rauen Holzfußboden, Splitter bohrten sich in seine Haut. Er hatte die Stimme so deutlich gehört, als hätte jemand direkt in sein Ohr gesprochen.
    »Komm, Bruder.«
    Er riss sich aus dem Traum und richtete sich auf. Einen Moment brauchte er, um sich zu orientieren. Die Lampe kam kaum gegen die Nacht hier oben an. Sie flackerte im Windzug. Die Fenster waren offen, und es standen keine Wachen mehr davor. Es schien Mattim, als ob sie jetzt weniger Schläfer waren als vorher, und da, hinter dem Holzbalken, der das Dach hielt, bemerkte er eine Gestalt, die sich über jemanden am Boden beugte. Er wollte schreien, fühlte sich jedoch wie gelähmt und brachte nur ein stimmloses Ächzen heraus.
    Der Eindringling hob den Kopf, und in diesem Moment sprang ein Wolf auf, just an der Stelle, an der eben noch ein bärtiger Flusswächter von der Tagpatrouille gelegen hatte. Nach wie vor konnte Mattim nicht schreien. Er wartete darauf, dass der Wolf ihn angriff, dass das Grauen nun mit seiner ganzen Macht über ihn kam, aber der neue Wolf stand nur da und wirkte ebenso verwirrt wie er selbst. Dann war er mit einem Satz am Fenster, und elegant wie die Tiere aus Mattims Traum hechtete er hindurch. Der junge Prinz hörte ihn auf dem Stalldach landen. Jetzt endlich wich die bleierne Lähmung von ihm. Er schoss hoch, um sich seinem Gegner zu stellen, doch der Schatten war verschwunden.

    »Morrit!« Seine Stimme klang wie der verzweifelte Hilferuf eines Kindes, nicht wie der Weckruf eines Wächters.
    Neben ihm wurde die Bogenschützin lebendig. »Was ist passiert? Was? Mattim, was ist passiert?« Miritas verzweifelter Antwortschrei weckte die anderen in wenigen Augenblicken. Wenig später waren sie alle wieder in der Wohnstube versammelt und lauschten dem Bericht des Prinzen.
    »Wir haben hier unten nichts gehört«, rief Morrit. »Alles schien ruhig.« Plötzlich rannte er los und riss die Tür zum Stallgebäude auf. »Ist alles … Nein! Nein!«
    Schreckensbleich wandte er sich zu ihnen um. »Sie sind weg, alle fünf Hüter. Die Pferde sind noch da … glaube ich. Bleibt hier. Alle. In einem Raum. Keiner schläft.«
    Mit schweißnassen Händen umklammerte er sein Schwert. »Kämpfen will ich«, murmelte er, »kämpfen gegen diese Bestien … nicht warten, bis sie mich holen.« Er hob den Kopf und blickte Mattim an. »Du bist unversehrt? Und die anderen? Wir haben euch nicht untersucht!«
    »Er ist ein Wolf geworden«, erklärte Mattim. »Kein Schatten. Sie sind alle Wölfe geworden und durchs Fenster geflohen. Lass gut sein, Morrit.«
    Goran, die muntere, tapfere Wächterin aus der Nachtpatrouille, wischte sich das Haar aus der Stirn.
    »Was werden wir sein?«, fragte sie leise. »Wölfe? Schatten? Weißt du es, Morrit? Als was werden wir enden?«
    »Keiner hat mich gebissen«, sagte Mattim, »sie sind auf und davon. Warum?« In seinem Traum war er selbst geflohen. Er fühlte die Kraft und Leichtigkeit seiner Gelenke, seiner Muskeln, die Kraft, vom Boden hochzuschnellen und dann in einen Lauf überzugehen, hinter den anderen, schnell, schnell wie der Wind … »Er hätte mich erwischen können«, flüsterte er. »Wenn er mir die Zähne in den Hals geschlagen hätte …«
    »Die Schatten trauen sich nicht heran an das Licht«, sagte Mirita, als könnte das seine Frage beantworten.

    »Er war mir so nah - nur ein paar Schritte durchs Zimmer!«
    »Das klingt ja fast, als würdest du es bedauern«, sagte Morrit. »Und jetzt still. Horcht. Sie sind lautlos wie die Schatten, die das Sonnenlicht wirft. Diesmal müssen wir gewappnet sein.«
    »Meinst du, sie kommen

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