Magyria 01 - Das Herz des Schattens
bebenden Körper, die sie zu dem machten, was sie waren. Menschlich.
»Ich möchte kein Wolf sein«, flüsterte Mirita neben ihm. »Alles, nur kein Wolf.« Er fühlte, wie sie an seiner Seite zitterte, und ihre blonden Locken wirkten auf einmal welk.
»Du wärst also lieber ein blutsaugender Schatten als ein Wolf?«, fragte Mattim, erstaunt, wie man so eine Wahl treffen konnte.
»Still«, befahl Morrit.
Die Stunden vergingen. Draußen begannen die ersten Fäden der Dämmerung das Muster des Tages zu weben.
»Bald«, flüsterte jemand.
Auf einmal war er da. Er trat einfach aus der Wand heraus, ein fremder Mann, der aussah wie sie, nicht sehr groß und nicht zu hager, jung, ein kleines Bärtchen unter der Nase. Bevor irgendjemand aufschreien konnte, hatte er die Schultern des nächsten Wächters ergriffen und ihn zu sich herangezogen. Sie schrien alle gleichzeitig, mit dem Opfer zusammen, sprangen auf, jemand holte mit dem Schwert aus und traf doch nur den Wächter, während der Schatten ihm schon die Zähne in den Hals schlug. Dann verschwanden sie gleichzeitig. Der Schatten trat zurück in die Wand, der Wächter, die Hand auf der Wunde, stöhnte einmal auf, fiel in seine Kleider hinein und stand als Wolf vor ihnen. Von allen Seiten stachen und hieben Waffen nach ihm, aber er tauchte erschrocken winselnd unter ihnen hindurch, rannte in Panik unter Stühlen und zwischen Beinen hinweg, während sie alle fortsprangen, fand die steile Leiter nach oben und hechtete aus dem Stand hinauf. Seine Krallen streiften die Sprossen, er zog sich hinauf, während eine Lanze sich hinter ihm ins Holz bohrte, und verschwand aus ihren Augen.
»Kommt in die Mitte«, drängte Morrit, »schnell, die Waffen nach außen. Prinz, in unsere Mitte!«
Nur Mirita gehorchte nicht, während sich die anderen angstvoll zusammendrängten, möglichst weit fort von den Wänden. Die Wächterin schritt rasch durch den Raum, nahm die Öllampe vom Haken und hielt sie wie eine Waffe in den Händen.
»Sei vorsichtig«, flüsterte Morrit.
Sie nickte. Ihre dunkelblauen Augen streiften den Prinzen. Die Andeutung eines Lächelns. Wir kriegen ihn.
»Hockt euch hin«, befahl Morrit, so leise, wie er noch nie einen Befehl gegeben hatte.
Nur Mirita blieb stehen; so warteten sie auf den Schatten.
Lautlos trat er durch die Wand. Auf einmal stand er vor ihnen, und fast im selben Moment warf ihm Mirita die Lampe vor die Füße. Die anderen hörten sie zerbrechen, und sofort schlugen die Flammen hoch und fraßen sich an den Beinen des Schattens hinauf.
Brennend taumelte er auf sie zu und schrie dabei so laut, dass es in ihren Ohren gellte. Mattim drehte sich um, gerade noch rechtzeitig, um aus den Wänden weitere Schatten treten zu sehen. Einer der Wächter hackte mit dem Schwert nach ihnen, als ihn von hinten ein weiterer Schatten ergriff. Mattim verfolgte nur noch, wie sich ein braunhaariger Kopf über den sehnigen Hals des Wächters hermachte, da fühlte er sich von Morrit gepackt und weggerissen.
»Flieht!«, schrie er. »Auf die Pferde! Flieht! Kämpft nicht! Flieht!«
Er zog den Prinzen durch die Tür in den Stall. Sie wussten nicht, was sie dort erwartete, aber es waren tatsächlich noch ein paar Reittiere da, unruhig von dem Geschrei und dem Brandgeruch. Sie schwangen sich auf die Pferde, ohne sich die Zeit zu nehmen, sie zu satteln. Eine Wächterin entriegelte das Tor - trotz allem, was hier geschehen war, war es zu - und wurde von den hereinströmenden Schatten umgeworfen.
»Reite!«, brüllte Morrit.
Mattim trieb sein Pferd nach vorne. Es scheute vor den Gestalten, die auf es zuliefen, doch dann bemerkte es die Wölfe und stürmte los. Unzählige Hände griffen nach dem Prinzen, als er durch die Schatten ritt, hinaus auf die Straße, in den frühen Morgen. Neben ihm und hinter ihm galoppierten andere, aber er drehte sich nicht um, sondern hielt sich an der Mähne des Schimmels fest und presste die Knie gegen den glatten Pferdeleib. Nur fort von dem Geschrei hinter ihm, das wie ein zweiter Brand hinter ihm loderte,
von dem fürchterlichen Geschrei … Die Pferde preschten durchs Dorf, kopflos, wildgeworden von dem Lärm und den Wölfen. Da war schon der Weg durch den Wald, genau vor ihnen. Hier herrschte noch die Nacht, und in dem Moment, als sie ins Dunkel tauchten, erwartete Mattim, dass alle Gestalten der Finsternis sich auf sie stürzten. Er warf einen kurzen Blick zurück und sah ein paar Wölfe nicht weit von sich rennen, mit so großen,
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