Magyria 01 - Das Herz des Schattens
gibt es auch nur genau das. Seine Welt. Maik wollte nicht, dass ich für dieses Jahr herkomme«, sagte Hanna. »Kein Mensch geht nach Ungarn, wenn er Au-pair in den USA oder Australien machen könnte. Er wollte eigentlich überhaupt nicht, dass ich weggehe. Er wollte, dass wir zusammen mit dem Studium anfangen. Er hat zwischendurch Zivildienst gemacht, während ich das letzte Jahr an der Schule war. Er hatte alles genau geplant.«
»Warum bist du denn ausgerechnet nach Ungarn gekommen?«
»Vielleicht, weil ich nicht tun wollte, was alle tun. Ich bin halt wirklich ein bisschen verrückt.«
»Aber du bist es auf eine lustige Art«, sagte Réka. Sie musste nicht aussprechen, dass sie ihren Fall für etwas völlig anderes hielt, das ganz und gar nicht lustig war.
»Vielleicht wäre es besser, wenn du dich nicht mehr mit Kunun triffst. Nein, Réka, hör mir erst einmal zu!« Das Mädchen hatte sich aufrecht hingesetzt und schien gleich aufspringen zu wollen. Schnell redete Hanna weiter. »Ich sag ja nicht, dass er Schuld hat. Ich sage auch nicht, dass mit dir etwas nicht stimmt. Ich meine nur, es hat ja offensichtlich etwas mit ihm zu tun. Deswegen denke ich, es ist für dich die einzige Möglichkeit, herauszubekommen, was los ist. Wenn es dir dann besser geht … Wenigstens für eine Weile. Auch wenn es dir schwerfällt. Bitte!«
Réka schüttelte heftig den Kopf. »Das geht nicht.«
»Ach, komm, nur für eine Weile. Bloß damit du herausfinden kannst, ob du auch in anderen Situationen Gedächtnislücken hast. Wie willst du sonst rauskriegen, was hier vor sich geht? Höchstens - ich weiß nicht, vielleicht zwei Wochen? Er wird das verstehen. Wenn er dich wirklich liebt,
muss er das verstehen. Himmel, er ist erwachsen! Wenn er dafür kein Verständnis hat, dann ist er es nicht wert, und das weißt du auch.«
»Es geht nicht«, wiederholte Réka. »Hast du mir nicht zugehört? Ich verabrede mich nicht mit ihm. Er ist einfach da.«
Hanna zögerte. »Was, wenn wir zum Arzt gehen? Ich könnte dich begleiten. Er kann dein Blut untersuchen.«
»Und mein Hirn, meinst du wohl.« Réka verzog wütend das Gesicht. »Wir machen etwas ganz anderes. Du kommst mit.«
»Ich? Wohin?«
»Wenn ich ausgehe. Du kommst mit und bleibst in der Nähe. Dann wirst du ja sehen, ob er mir irgendwas gibt. Vielmehr wirst du dann sehen, dass er mir eben nichts gibt, dass er damit überhaupt nichts zu tun hat. Und vielleicht …« Réka zögerte, verlegen, ihre Hände verirrten sich in ihr glattes, dunkles Haar. »Vielleicht kannst du ja ein Foto von uns beiden machen? Das würde mir echt viel bedeuten, nachdem Attila das alte zerrissen hat.«
»Ich soll euch beschatten? Das geht nicht. Kunun kennt mich, er hat uns doch schon zusammen gesehen.«
»Dann verkleiden wir dich halt.«
»Ich weiß nicht.« Hanna musste sich mit der Idee erst anfreunden. »Ich finde das ziemlich riskant. Was, wenn ihr irgendwo hingeht, wo ich nicht mitkommen kann? Zu ihm nach Hause oder sonst wohin?«
»Dann kannst du mir wenigstens sagen, wo er wohnt.« Die Qual in Rékas Gesicht war so groß, dass sie wesentlich älter wirkte. Eine Erwachsene, die schon viel erlebt hatte und die befürchtete, dass niemand ihr glaubte. »Ich weiß nichts«, sagte sie. »Rein gar nichts. Außer, dass ich ihn liebe. In meinem Herzen spüre ich, dass wir zusammengehören. Er ist mein Freund, er ist alles für mich. Und ich für ihn. Aber ich weiß nichts von dem, was er mir über sich erzählt
hat. Ich habe keine Ahnung, was ich ihm von mir gesagt habe. Ich denke den ganzen Tag an ihn, aber ich habe nur dieses Bild. Keine einzige Erinnerung. Nur das Bild. Alles andere ist weg. Hilfst du mir, Hanna?«
Sie glaubte, dass es gute Erinnerungen waren, auf die sie verzichten musste. Hanna, die den bösen Verdacht hatte, dass genau das Gegenteil der Fall war, konnte bloß nicken.
»Na gut. Versuchen wir das. Doch wenn es nicht klappt, dann möchte ich, dass wir zum Arzt gehen.«
»Ist das deine Bedingung?«
»Ja. Denn das muss aufhören, so oder so. Irgendwie muss es aufhören.«
Einen Moment hatte sie die Befürchtung, dass sie zu weit gegangen war. Dass Réka lieber auf das Foto von sich und ihrem Liebsten verzichtete, als in Erwägung zu ziehen, sich untersuchen zu lassen. Aber sie stimmte tatsächlich zu.
»Na gut.« Wie schwer ihr diese Worte fielen, war ihr nicht anzuhören, aber sie sah auf einmal erschöpft und traurig aus.
»Du musst ins Bett«, sagte sie. »Lass uns
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