Magyria 01 - Das Herz des Schattens
Schädel, die Krallen, die tiefe Furchen ins Metall rissen. In seiner berechtigten Wut wirkte er wie der König der Wälder.
»Du siehst ihn an, als wärst du in ihn verliebt.« Solta wartete, bis wenigstens ein paar der anderen Hüter pflichtschuldigst lachten. »Wer will ihn erledigen? Du, Mattim?«
Es war keine Frage, sondern ein Befehl. Dennoch schrak der Königssohn davor zurück, ein so schönes Tier abzuschlachten. Er verstand es selbst nicht. Schließlich hatte er gesehen, wie die gewöhnlichen Wölfe gemeinsam mit den Schattenwölfen jagten; immer noch kamen sie in seinen Träumen zu ihm, das ganze Rudel, an der Spitze die silberne Wölfin, und ihr Geheul riss die Nacht in Fetzen.
Die anderen Hüter traten näher. Sie hielten Lanzen in den Händen, die sie durch das Gitter steckten, um den Wolf in eine Ecke zu treiben, damit sie ihn mit einem kräftigen Stoß töten konnten. Doch das Tier kämpfte weiter. Es beachtete die Spitzen nicht, die ihm Löcher ins Fell stachen, die seine Haut durchbohrten. Blut tropfte über seinen nachtschwarzen Pelz. In seinem Knurren und Fauchen lagen nur Zorn und Kampfeslust. Er wandte sich Mattim zu, in dem er seinen wahren Gegner erkannt hatte. Rasend vor Wut warf er sich immer wieder gegen das Gitter.
Der Prinz hielt sein Schwert umklammert. Er hatte keine Wahl, er musste diesen Wolf töten. Wenn er es nicht tat, gab er Solta bloß einen Grund, ihn nach Hause zu schicken. Schon zu lange wartete der Anführer der Tagwache darauf, dass er sich einen Fehler leistete. Warum hätte er dieses Tier auch nicht töten sollen? Es war ein Wolf, gefährlich und unberechenbar, und so, wie er wütete und geiferte, selbst von keinerlei Skrupeln geplagt.
»Was, wenn er …« Er brach ab. Was, wenn es doch ein Schattenwolf war, wenn Mattim sich täuschte? Dann musste er ihn erst recht töten. Dann durfte es erst recht keine Gnade geben. Zum ersten Mal, seit er ein Mitglied der Wache war, fragte er sich, ob er dafür ausgebildet worden war, um mit dem Schwert ein Tier zu erstechen, dessen Hass ihm nur allzu verständlich schien. Zum ersten Mal fragte er sich, was es hieß, ein Prinz des Lichts zu sein, wenn das Einzige, was man ihn tun ließ, Kaninchen und Enten für ihre Schlächter bereitzumachen war und am Schluss selbst ein Schlächter zu sein.
»Seit Wochen keine Angriffe mehr. Manchmal finde ich es geradezu unheimlich, wie ruhig es geworden ist.«
»Dir kann man es aber auch gar nicht recht machen, wie, Mattim?«
Palig, einer seiner neuen Kameraden, boxte ihm freundschaftlich in den Rücken. Sie waren zu dritt unterwegs, um die Fallen zu überprüfen und gegebenenfalls mit neuen Ködertieren zu bestücken. Alita trug die Hühner, die es diesmal getroffen hatte. Schon länger war Solta dazu übergegangen, die Tagespatrouille aufzuteilen. Allein durfte zwar immer noch niemand unterwegs sein, doch da der Anführer nicht nur mit den Käfigen beschäftigt sein wollte, hatte er sich schließlich dazu durchgerungen, eine kleine Abteilung für die Fallen abzustellen und mit dem Rest weiter östlich in den Wald vorzudringen, um sicherzugehen, dass
die Feinde sich wirklich zurückgezogen hatten. Aus reiner Gehässigkeit - so schien es Mattim - war er dafür eingeteilt worden, sich um die Fallen zu kümmern. Die wenigen Querdenker, die es unter Soltas Kommando noch aushielten, hatte man ihm an die Seite gestellt: Palig, ein frecher Fünfzehnjähriger, der gerne widersprach, und Alita, die den Anführer allein durch ihre kritischen Blicke reizte. Mattim war froh darüber; jetzt war er wenigstens den unverschämt lustigen Wikor los.
»Da wären wir.« Die Falle war leer. Die Gans, die als Köder diente, lebte sogar noch. Nicht einmal ein Fuchs hatte versucht, sich zu bedienen. Mattim kniete sich neben ihr hin, sie zischte. »Wir müssen das arme Tier füttern«, sagte er. »Oder wir lassen ein Huhn da und nehmen die Gans mit nach Hause.«
»Ich hol sie heraus«, bot Palig an. »Ich trete nur hier auf den Seiten auf, dann wird die Falle nicht ausgelöst. Wenn man genau hierhin …«
Hinter ihm krachte die Klappe hinunter. Alita und Mattim lachten. »Das musst du noch üben. Jetzt komm schon raus, bevor du dich daran gewöhnst!«
Auf einmal hatte Mattim das Gefühl, von tausend Augen beobachtet zu werden. Durch die Wipfel rauschte Gelächter, und in den kleinen Blättern des Gestrüpps wisperte und kicherte es. Er hob den Blick und sah eine Frau im Schatten des Baumes stehen und ihn
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