Magyria 01 - Das Herz des Schattens
beide allein gejagt haben. Mirita! Er hat daran geglaubt. Er wollte dasselbe herausfinden wie ich!«
»Das hat er mit seinem Leben bezahlt.« Rede es ihm aus , dachte sie. Rette ihm das Leben. Aber sie konnte nichts mehr sagen. Die Tränen nahmen ihr die Sicht und verwirrten ihren Geist, denn sie ahnte, was nun kommen würde.
»Wir kämpfen gegen Schatten«, sagte er leise, »die auftauchen und verschwinden, wie es ihnen beliebt. Sie lachen uns aus. Sie stecken Wölfe in unsere Fallen, damit wir zufrieden sind und leichtsinnig werden. Man kann gegen Schatten nicht kämpfen, die aus dem Nichts auftauchen. Wir können nur versuchen, die Pforte zu schließen, durch die sie kommen.«
»Was hast du vor?«, fragte Mirita heiser.
In Mattims Augen blitzte etwas auf, ein selbstmörderischer Trotz, und auf einmal fürchtete sie sich wie nie zuvor.
»Wir waren in der Höhle«, erzählte er. »Aber wir konnten den Durchgang nicht sehen. Man muss ein Schatten sein, um dort ein und aus zu gehen.«
»Hör auf. Nein, Mattim, bitte, hör auf!«
»Man muss ein Schatten sein«, wiederholte er. »Nur so kann man hinter das Geheimnis kommen. Nur so kann man herausfinden, wohin diese Höhlen führen und warum die Schatten, wenn sie ins Licht treten, nicht vergehen. Man muss sein wie sie, um zu verstehen. Und verstehen muss man es, Mirita. Wenn man sie nicht versteht, kann man sie nicht bekämpfen und nicht besiegen. Wir müssen herausfinden, was das Geheimnis ihrer Kraft ist.«
»Man?«, wisperte sie. »Man muss ein Schatten sein? Mattim, weißt du, was du da redest?«
»Ich würde gewiss nicht böse werden«, versicherte er, und redete hastig weiter, als müsste er schnell all seine Argumente loswerden, bevor sie ihm widersprechen konnte. »Morrit war nicht böse. Er war wie immer, er war immer noch er selbst. So kann ich auch sein. Und fang jetzt nicht wieder mit meinen Geschwistern an. Vielleicht kommt es allmählich. Das Bösesein. Vielleicht«, er versuchte zu lachen, »ergreift einen irgendwann der Trieb, anderen an die Kehle zu gehen. Jedenfalls geschieht es nicht sofort. Ich habe Morrit in die Augen gesehen, er wollte nur Gnade, sonst nichts. Glaubst du, ich könnte jemals Vergnügen daran finden, Menschen zu beißen und ihnen das Blut auszusaugen? Es ist lächerlich. Wenn dagegen … ich meine, wenn es mit der Zeit kommt, wenn es womöglich irgendwann so stark ist, dass ich mich nicht mehr dagegen wehren kann, dann musst du mich töten.«
»Ich?«, japste Mirita.
»Wenn ich ein Schatten bin«, fuhr Mattim fort, »muss ich irgendjemandem mitteilen, was ich herausgefunden habe. Du bist die Einzige, die mir zuhören würde, die nicht schreiend davonlaufen würde. Ich werde zu dir kommen.
Wir müssen ein Zeichen vereinbaren, damit du weißt, dass ich in der Nähe bin, und dich eine Weile von den anderen Flusshütern entfernst. Ich könnte wie ein Wolf heulen. Ich glaube, das bekomme ich ziemlich echt hin.«
»Mattim! Im Wald wimmelt es von Wölfen. Wie sollte ich wissen, dass du es bist? Es ist Unsinn. Dein ganzer Plan ist Unsinn.«
»Wenn ich wie eine Eule schreie …«
»Nein!«, rief Mirita. »Nein, nein und nochmals nein! Du sollst nicht so tun, als wärst du ein Tier der Nacht.«
»Dann werde ich wie ein Turul krächzen. Das kann ich auch, soll ich es dir vorführen, damit du weißt, wie es klingt?«
»Nein! Ich will nichts davon hören. Nein, Mattim, nein!«
»Wenn ich rufe, dann komm zu mir«, sagte er. »Sobald du jedoch merkst, dass ich anders geworden bin - so wie die anderen Schatten -, dann musst du mich töten. Versprich mir das. Lass mich nicht als blutrünstige Bestie durch den Wald streifen und Menschen überfallen.«
Mirita schüttelte wild den Kopf. »Hör auf. Mattim, hör endlich auf.«
»Wie sonst sollen wir das Grauen beenden?«, fragte er. »Hast du eine bessere Idee?«
»Was, wenn es nichts bringt?«, fragte sie zurück. »Wenn du dich ganz umsonst opferst? Wenn du sofort böse wirst und gar keine Gelegenheit hast, mir etwas zu übermitteln? Du bist der Prinz des Lichts. Die Stadt wird sich verdunkeln, wenn du fort bist. Und dann wird es keine Hoffnung mehr geben. Gar keine.« Ihre Stimme versagte. Sie stand auf und ging durchs Zimmer, fort von ihm, sie wollte ihn nicht ansehen und musste doch zu ihm zurückkehren.
Was konnte sie tun, um ihn vor dem schrecklichen Tod zu bewahren, den er gewählt hatte? Tu es nicht , wollte sie
rufen. Wir werden alles verlieren und nichts gewinnen. Sie
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