Magyria 01 - Das Herz des Schattens
unruhigen Marsch durchs Zimmer hielt er inne. Vielleicht konnte er Mirita noch einmal treffen, bevor es geschah. Er konnte sie fragen, ob er sie küssen durfte. Falls sie erschrak und rot wurde, konnte er ihr erklären, warum es ihm so wichtig war. Ein einziger Kuss. Vielleicht war es leichter zu sterben, wenn man schon ein Mal geküsst worden war.
Mattim griff nach seinem Umhang und verließ das Zimmer. Auf leisen Sohlen schlich er die Treppe hinunter. Seine Eltern schliefen um diese Zeit, und er wollte den Wächtern nicht in die Hände laufen.
Als er unten ankam, vernahm er gedämpfte Stimmen aus dem Salon der Königin. War seine Mutter noch wach? Zögernd trat er an die Tür und presste das Ohr ans Holz.
Ja, es war seine Mutter. Sie schien sich gerade zu bedanken.
Eine tiefe, männliche Stimme ertönte, in der er unschwer seinen Vater erkannte. Ertappt wich Mattim zurück. Er hatte nicht vor, seine Eltern bei einem privaten Gespräch zu belauschen. Doch gerade als er sich abwenden wollte, vernahm er die Stimme einer dritten Person.
Es traf ihn wie ein Schlag. Mirita? Sie war immer noch da, hier in der Burg - im Gespräch mit seinen Eltern?
Hastig wich er zurück, als könnte er sich an der goldbemalten Tür verbrennen. Was hatte sie wohl mit dem König und der Königin zu bereden?
Mattim konnte es nicht glauben. Er musste sich verhört haben, es gab gar keine andere Möglichkeit. Wenn der Gast das Zimmer verließ, würde er ihn sehen. Schon näherten sich die Stimmen der Tür. Hastig verbarg der Prinz sich hinter einer Statue und wagte nicht zu atmen.
»Wir danken dir«, sagte der König und drückte dem Mädchen, das Mattim für eine gute Freundin gehalten hatte, die Hand. Die Königin nickte ihr wohlwollend zu. Miritas Gesicht schimmerte bleich im fahlen Licht der wenigen Lampen. Sie zog sich die Kapuze über das helle Haar, verbeugte sich tief und hastete davon.
Farank und Elira standen in der Vorhalle und sahen einander an.
»Ich werde eine Wache vor seinem Zimmer postieren«, sagte der König leise. »Jetzt sofort. Er wird die Burg nicht mehr verlassen, das schwöre ich.«
Elira seufzte. »Es ist zu viel passiert in letzter Zeit. Jedes Mal dachte ich, der Junge verkraftet es, er ist stark genug. Die beiden Gefährten zu verlieren, für die er sich verantwortlich gefühlt hat, hat ihn völlig aus der Bahn geworfen, und nun auch noch Morrits Ende … Aber auch das wird er verwinden müssen. Vielleicht wird er morgen schon über seine verrückten Einfälle lachen, so wie wir.«
»Mir ist nicht nach Lachen zumute«, murmelte König Farank.
Mattim hielt den Atem an, bis sie gegangen waren. Er konnte seinen Vater in der Eingangshalle mit den Wachen reden hören, Satzfetzen von »gut achtgeben« und »auf gar keinen Fall«, drangen durch den offenen Mauerbogen.
Hastig sah er sich um. Vorne würden sie ihn nicht durchlassen. Wenn er die Burg verlassen wollte - und das musste er auf der Stelle tun -, blieb ihm nur der Dienstbotenausgang. Vorsichtig schlich er in die Eingangshalle, wo ein paar Wächter miteinander redeten, und verbarg sich mit klopfendem Herzen hinter einer Säule. Die Männer waren weitergegangen. Rasch lief der Prinz auf leisen Sohlen weiter, bog um die Ecke und eilte die Treppe zu den Wirtschaftsräumen hinunter. Fast überall war es schon dunkel, die Bediensteten waren längst schlafen gegangen. Nur in der Küche wurde die ganze Nacht hindurch gearbeitet. Hier blickten ein paar Gehilfen überrascht auf, als er zwischen den Tischen hindurchstürmte.
Der Wachposten an der Tür grüßte ihn höflich. Der Mann zog die Brauen hoch, sagte aber nichts. Vielleicht glaubte er, Mattim wäre unterwegs zu einem Mädchen, denn er grinste etwas zu breit.
Gleich, wenn er vom Befehl des Königs erfuhr, würde er nicht mehr grinsen. Doch dann war der Prinz längst in der Nacht verschwunden.
Vor sich in der Gasse hörte Mattim das Geräusch eiliger Schritte. Dort hastete Mirita nach Hause, eng in ihren Umhang gehüllt. Er erkannte sie trotzdem und duckte sich in den Schatten zwischen den Häusern. Die junge Bogenschützin hatte ihn gehört, kurz blieb sie stehen und sah sich um.
»Wer ist da?«
Aus dem Schatten heraus konnte er sie deutlich erkennen. Sie stand in der Mitte der Gasse und lauschte. Dann rannte sie plötzlich los, und er wartete, bis er ihre Schritte nicht mehr hören konnte. Sie würde schon nach Hause kommen.
Noch waren die Schatten, die es wirklich zu fürchten gab, nicht in der
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