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Magyria 01 - Das Herz des Schattens

Titel: Magyria 01 - Das Herz des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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Schlüsselbein, eine groteske Verzierung ihrer weißen, ansonsten makellosen Haut.

    »Endlich.« Ihre Stimme klang angenehm melodisch, auch sie hatte so gar nichts Schattenhaftes an sich.
    »Du bist tot«, sagte er, und noch während er es aussprach, kam es ihm dermaßen ungeheuerlich vor, dass er fast darauf hoffte, dies möge ein Traum sein. Stattdessen hockte er hier in einem Käfig und betrachtete durch die Stäbe das schönste Wesen, dem er je begegnet war.
    Sie lächelte, und etwas blitzte in ihren Augen auf. »Nicht so tot, wie du denkst. Nicht so tot wie Wilia. Du hast sie umgebracht. Du. Endgültig. Deine eigene Schwester.«
    »Was? Ich? Wann hätte ich …?« Er starrte sie an, von der Wucht der Anklage zurückgeschmettert. Der große Wolf musterte ihn mit unverhohlenem Hass und knurrte.
    »Die Schattenwölfin«, erklärte die rothaarige Schönheit.
    »Du?«, fragte er. »Du warst dabei? Ja, natürlich - du hast im Wald geschrien. Ich habe dich gehört.«
    Sie kniete sich neben den Wolf und vergrub das Gesicht in seinem dichten Fell, doch dann wandte sie dem Prinzen wieder ihre volle Aufmerksamkeit zu. »Silbernes Haar. Haben unsere Eltern dir nie erzählt, wie wir aussehen, wer wir sind, wie sehr wir zu dir gehören und du zu uns?«
    »Ich habe das Bild gesehen«, protestierte er, »Wilias Porträt. Sie hatte kein silbernes Haar. Niemand von uns hat silbernes Haar!«
    »Sie war eine Braut. Und als Braut lebte sie weiter … Deine Schwester, Mattim. Geliebt, bewundert, gefürchtet … Wie konntest du das nur tun? Schande über dich! Seit jener Nacht habe ich darauf gewartet, dass ich dich endlich in die Finger bekomme.«
    »Wer bist du?«, fragte er, die Stimme versagte ihm.
    »Atschorek. Deine Schwester Atschorek, Brüderchen.«
    »Aber dann …« Erleichterung durchströmte ihn, zu schnell, um sie durch Vorsicht bremsen zu können. »Dann lass mich raus! Lass mich nach Hause! Du würdest mir doch nichts tun?«

    »Wir warten schon lange auf dich«, sagte sie. »Geduldig haben wir gewartet, dass du größer wirst. Wer würde schon ewig ein Kind sein wollen? Ein paar Jahre sollten es noch sein. Doch jetzt … mit Wilias Blut an den Händen? Hast du überhaupt eine Vorstellung davon, was du zerstört hast?«
    »Die Wölfin … Wilia … hat mich angegriffen!«
    »Sie wollte es nicht tun.« Atschorek lächelte im Gedenken an ihre Schwester. »Ich habe sie dazu überredet, eigentlich wollte sie es nicht. Deswegen hat sie zu lange gezögert. Du warst ihr zu jung. Aber ich wusste, dass Kunun es nicht mehr erwarten konnte, dich zu uns zu holen. Unseren goldhaarigen Bruder, Mutters Prinzlein, den allersüßesten Knaben, den das Licht je gebar. Kunun hat sich gewünscht, dass du freiwillig kommst. Und du bist gekommen.«
    »Nein!«, widersprach er, »nein, ich wollte nicht …«
    »Jetzt, Mattim, ist die Schonfrist vorbei. Es wird Zeit, dass du weißt, wen du vor dir hast, wenn du kämpfst oder wenn du liebst. Es wird Zeit, deinen Platz einzunehmen im Kampf um Magyria, in der Schlacht um Akink.«
    »Lass mich gehen. Bitte.« Das war alles, was er herausbrachte.
    Atschorek tätschelte den Wolf mit dem rötlichen Fell.
    »Du darfst dir aussuchen, an welcher Stelle du gebissen werden möchtest.« Sie berührte die roten Spuren an ihrem Hals. »Die Narbe bleibt dir für immer. Und das bedeutet für unsereins wirklich immer. So lange wir sind, was wir sind. Wähle, Bruderherz. Aber beeile dich, wir werden beide schnell ungeduldig.«
    »Ich will nicht. Bitte. Wenn du wirklich meine Schwester bist - tu mir das nicht an.« Mattim wollte nicht flehen, betteln und weinen. Doch es war schwer, stark und stolz zu sein, wenn man in einen Käfig eingezwängt war und vor einem bereits der Wolf knurrte, der einen gleich beißen
würde. Das uralte Entsetzen des Körpers vor der Bestie war stärker als alle Vernunft, stärker als der Wunsch, eine gute Figur zu machen und den Schrecken, wenn man ihn schon nicht vermeiden konnte, mit hoch erhobenem Haupt über sich ergehen zu lassen.
    Atschorek beugte sich vor und zog die Klappe des Käfigs nach oben. Mattim hatte nur Augen für den Wolf, der witternd die Schnauze vorstreckte. Wider besseres Wissen versuchte er, dem Kaninchen zu folgen, das sich sofort durch die Gitterstäbe quetschte, über den Höhlenboden schlitterte und aus dem erleuchteten Bereich verschwand. Er rüttelte an den Stäben. Er schrie. Er vergaß alles um sich herum. Sein Körper versuchte zu fliehen. Sein Mund

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