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Magyria 01 - Das Herz des Schattens

Titel: Magyria 01 - Das Herz des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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Fremde.
    Ihre Blicke begegneten sich, soweit das bei seinem Gesicht, das sich im Schatten einer Baseballmütze verbarg, möglich war. Er lächelte unsicher und zuckte mit den Achseln. »Geht es nicht weiter?«
    »Keine Ahnung.«
    Er war jung, ungefähr in ihrem Alter. Ein Fremder in Jeans und einer dunklen Jacke. Ein ungutes Gefühl überkam Hanna, denn irgendetwas war komisch an seiner Art zu reden, ein ganz leichter Akzent, eine ungewohnte Art, die Dinge auszusprechen - dabei war sein Ungarisch perfekt, soweit sie das beurteilen konnte. Ein Akzent, wie ihn auch Kunun hatte. Wie ihn Atschorek gesprochen hatte.
    Hanna trat einen Schritt zurück. Sie wappnete sich innerlich gegen einen Angriff. Es konnte kein Zufall sein, dass der Fahrstuhl ausgerechnet jetzt stecken geblieben war, genau in dem Moment, da sie Kunun gefolgt war. Eigentlich war es erstaunlich leicht gewesen. Verdächtig leicht, wie ihr leider erst im Nachhinein auffiel. Für so geschickt hatte sie sich gehalten! Sie verwünschte ihre Naivität.

    Der Fremde machte jedoch keinerlei Anstalten, sie anzugreifen. Er begann, sämtliche Fahrstuhlknöpfe zu drücken, erst der Reihe nach, dann wild durcheinander. Es nützte natürlich nichts. Er stieß einen leisen Fluch aus, hob den Kopf und sah sie an. »Ist das normal, dass so was passiert? Fährt das Ding gleich weiter?«
    »Keine Ahnung«, gab Hanna zurück. »Wohnst du nicht hier?«
    »Schon«, sagte er. »Aber noch nicht lange.« Er schien nicht die Absicht zu haben, gleich über sie herzufallen. Im künstlichen Licht der Neonröhre wirkte seine Haut blass und farblos. Plötzlich ballte er die Hand zur Faust und schlug gegen die Knöpfe und Tasten.
    Hanna zuckte erschrocken zusammen. »Das hilft auch nicht weiter! Der Knopf da ist für den Notfall, glaube ich. Warum funktioniert er denn nicht? Warte, ich habe ein Handy. Ich kann jemanden anrufen. Gibt es hier einen Hausmeister?«
    »Nein«, sagte er leise.
    »Irgendjemand, der hier wohnt, wird sich mit dem Ding doch auskennen?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Dann sollten wir die Polizei anrufen. Kennst du die Nummer?«
    Wieder schüttelte der junge Mann den Kopf. Hanna versuchte sich krampfhaft daran zu erinnern, aber ihr wollte partout nicht einfallen, wie der Notruf ging. Die einzige Nummer, die sie in Budapest kannte, war die ihrer Gastfamilie. Und die von Mária.
    »Ich sag jemandem Bescheid, der uns Hilfe schicken kann«, sagte sie. Während sie die Tasten drückte, beobachtete sie ihr Gegenüber, für den Fall, dass er versuchen würde, sie am Anrufen zu hindern, doch er stand nur da und starrte auf seine Füße.
    »Es geht nicht! Das gibt’s ja nicht. Wieso ist hier kein
Empfang? Ich kann niemanden anrufen!« Ungläubig ließ sie das Handy wieder sinken. »Wie kann das sein? Es muss funktionieren! Der Akku ist voll. Es muss gehen!«
    Der Fremde hob den Kopf und sah sie an. Seine Augen lagen immer noch im Schatten.
    Jetzt wird er es tun , dachte Hanna. Jetzt.
    Sie fühlte, dass ihre Beine zu zittern begannen, so stark, dass sie nichts dagegen unternehmen konnte. Er wird - was wird er tun? Mich umbringen?
    » Hat Kunun dich geschickt?«, fragte sie. Es war merkwürdig, wie schwer ihre Zunge sich bewegen ließ. Ihr Mund war so trocken, dass sie nicht schlucken konnte.
    »Du kennst Kunun?« Die Überraschung in seiner Stimme war nicht zu überhören. Er hatte eine klare, angenehme Stimme, eine Stimme, die alles andere war als das drohende Flüstern eines Mörders. Trotzdem war die Tatsache, dass auch er Kunun kannte, die letzte Bestätigung, die Hanna brauchte.
    »Bitte nicht«, flüsterte sie. »Bitte. Ich hab doch nichts gegen ihn in der Hand. Ich hab zwar gesagt, ich wüsste, was er ist - aber das glaubt mir sowieso niemand. Ich bin keine Gefahr für ihn, wirklich nicht. Ich kann nicht das Geringste gegen ihn unternehmen, selbst wenn ich wollte. Bitte, lass mich gehen.«
    Der Junge hörte ihr mit unbeweglichem Gesicht zu, dann stieß er einen Laut aus, der wie ein Schluchzen klang.
    »Du gemeiner Schweinehund!«, schrie er plötzlich und trat mit dem Fuß gegen die Fahrstuhlwand. »Kannst du mich hören?«
    Hanna wich erschrocken zurück, aber es gab keinen Ort, an den sie sich vor diesem Zornesausbruch flüchten konnte.
    »Kunun!«, schrie er. »So kriegst du mich nicht! So nicht! Atschorek! War das deine Idee? So nicht! Ganz sicher nicht!« Er hämmerte mit beiden Fäusten gegen die Wände,
gegen die Tür. Die Kappe flog ihm vom Kopf und gab einen

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