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Magyria 01 - Das Herz des Schattens

Titel: Magyria 01 - Das Herz des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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Koffer packen müssen. Also musste sie jetzt sofort los. Heute Abend noch. Falls etwas schiefging, musste sie auf jeden Fall Vorsorge treffen.
    Hanna führte kein Tagebuch; das einzige Heft, in das sie regelmäßig hineinblickte, war ihr Vokabelheft vom Sprachkurs. Kurz entschlossen schlug sie es auf und schrieb ein paar Sätze hinein. Dann schob sie es zurück ins Fach zu ihrem Lehrbuch. Einen Moment lang zögerte sie, dann warf sie die Schranktür entschlossen zu.
    An der Tür hielt sie noch einmal inne. Sie blickte zurück
in das Zimmer, ob sie etwas vergessen hatte, und zugleich war es, als würde sie zum letzten Mal den kleinen Raum betrachten, der für kurze Zeit ihr Zuhause gewesen war. Wenn sie zurückkam, würde sie vielleicht schon nicht mehr Au-pair-Mädchen sein. Es sei denn, sie konnte Réka beweisen, wer Kunun war, und die würde ihre Anschuldigungen zurücknehmen.
    Leise schlich sie die Treppe hinunter. Die Familie saß beim Abendessen, aus der Küche waren gedämpfte Stimmen zu hören. Nur Attilas Stimme war alles andere als gedämpft. Lautstark erzählte er irgendetwas aus der Schule.
    Hanna zog die Haustür sacht hinter sich zu.
    Draußen war es schon dunkel, ein kühler Wind fuhr durch ihren Mantel und wirbelte durch ihr Haar. Hinter ihr fiel der Lichtschein aus den Fenstern auf den stillen Garten.
    Erst als sie außer Sichtweite war, einige Häuser weiter, rief sie Mária an. So abweisend die Ungarin sich auch benahm, es war wichtig, wenigstens eine Person ins Vertrauen zu ziehen. Aber Mária war nicht da, und Hanna konnte nur auf den Anrufbeantworter sprechen. Danach atmete sie tief durch. Mehr konnte sie nicht tun, um sich abzusichern. Jetzt musste sie die Sache durchziehen.

SIEBZEHN
    BUDAPEST, UNGARN
    Ohne Auto und ohne Attila an ihrer Seite kam Hanna sich merkwürdig einsam in dieser Stadt vor. Es war wie eine Motorradfahrt ohne Helm - völlig schutzlos, während der kalte Wind an einem riss. Zugleich frei und allen Gefahren ausgesetzt, in einem rasenden Flug. Anzuhalten war unmöglich.
    Die Hände in den Taschen vergraben, stapfte sie die Straße hinunter, beflügelt von dieser erregenden Mischung aus Freiheit und Gefahr. Wahrscheinlich ihr letzter Abend in Budapest. Auf die Regeln, die mit ihren Gasteltern abgesprochen waren, brauchte sie jetzt keine Rücksicht mehr zu nehmen.
    Durch die schmutzstarrenden Fenster des Busses konnte sie kaum erkennen, wo sie sich befand. Irgendwo stieg sie aus, nahm einen anderen Bus. Sie ließ sich treiben, verbannte jeden Gedanken, jeden Plan. Ohne dass sie es selbst gemerkt hatte, hatten ihre Füße sie wieder zum Déryné gelenkt. Hanna sah an dem Kellner, der ihr entgegentrat, vorbei und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Atschorek war nicht da. Nun denn.
    Sie ignorierte die enttäuschte Miene des jungen Mannes und kehrte zurück in den kalten, dunklen Januarabend.
    Auf dem steilen Weg zur Burg wurde ihr wärmer. Hier waren immer Menschen unterwegs. Der eisige Wind trieb sie wie aufgewirbelte Blätter in die Restaurants und Lokale, aber es gab noch genug Leute, die der Kälte trotzten und den Ausblick auf die Pester Seite genossen. Hanna interessierte sich heute nicht für die grandiose Aussicht, sondern
hielt nach Liebespärchen Ausschau, die vielleicht etwas anderes waren, als es den Anschein machte. Die Einzigen, die sich küssten, waren ein weißhaariger Mann und eine rotbackige Frau mit einer Strickmütze, offensichtlich halb erfrorene Touristen, und es erweckte nicht den Eindruck, als würde einer von ihnen gebissen werden.
    In den letzten Tagen hatte Hanna das Gefühl gehabt, in der ganzen Stadt wimmele es nur so von Vampiren, doch jetzt war kein einziger zu sehen. Niemand, den sie in flagranti ertappen und fotografieren konnte. Vielleicht war es einfach zu kalt. Vielleicht saßen sie alle irgendwo drinnen. Dann würde sie Réka niemals beweisen können, dass es diese Blutsauger wirklich gab.
    Auf der Kettenbrücke war der Wind noch stärker. Er blies mit aller Macht in ihren Mantel und kühlte sie völlig aus, sodass sie auf der anderen Seite beschloss, ihre Suche in den warmen Lokalen fortzusetzen.
    Ein heißer Tee würde sie nicht nur aufwärmen, sondern ihr vielleicht auch wieder mehr Zuversicht schenken.
    Während sie an ihrer Tasse nippte - der Tee kam ihr zu heiß vor, um ihn zu trinken, was wahrscheinlich an ihren blau gefrorenen Lippen lag -, sah sie sich um. Niemand schien an irgendjemandes Blut Interesse zu haben. Enttäuscht

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