Magyria 02 - Die Seele des Schattens
Unschuldigen, darauf kommt es jetzt an.«
Und nicht Akink. Und nicht Akink! Der Schmerz zog seine Brust zusammen, er hatte das Gefühl zu ersticken.
Als er ihre Hand nahm, dachte er nicht an Réka dort unten im Labyrinth, nicht an die elf Touristen, die über ihre Wunden jammerten und an ihrem Entsetzen kauten, nicht an Goran und den traurigen Ticketverkäufer. Einen Moment lang, der wie ein Wunder aufblitzte, hörte das Labyrinth auf zu existieren und mit ihm die ganze Dunkelheit und all das Grauen, das es barg – Akink! Akink! Es gab nur Hannas kleine, warme Hand in seiner, nur die Hoffnung, dass es etwas gab, was er tun konnte.
Du bist mein Leben, wollte er sagen, in dem schwachen Versuch, dieses Gefühl einzufangen, das nur ihre Gegenwart ihm geben konnte. Doch er hatte kaum den Mund geöffnet, kaum das »Du …« ausgesprochen, als ein fürchterlicher Schrei aus dem Gewölbe erscholl und ihm die Worte von den Lippen fegte.
»Das war Réka!«, rief Hanna erschrocken, ließ seine Hand los und wollte die Stufen hinuntereilen, doch ausgerechnet jetzt hasteten die neugeborenen Schatten, die deutschen Touristen, die Stiege hinauf.
»Jetzt reicht es!«, heulte eine Frau und schüttelte ihren Lockenkopf. »Sind wir denn im Tollhaus hier?« Sie schob sich an Hanna vorbei, schubste Mattim, der ihr mit ausgebreiteten Armen entgegensprang, unsanft zur Seite und trat aus dem Vorraum hinaus auf die Straße. Hinter ihr drängten sich ihre Leidensgenossen unter den blauen Budapester Himmel, an dem die Sonne ihr unbarmherziges Werk begann. Hanna sah nicht hin, sie eilte nach unten, aufschluchzend, und Mattim stürzte ihr nach, auf alles gefasst.
Réka war nicht allein. Sie stand inmitten einer Gruppe Schatten, die vorhin noch nicht dort gewesen waren. Atschorek hielt sie in den Armen, umklammerte sie fest, während das Mädchen sich sträubte und um sich schlug.
»Lass mich los! Ich will zu ihm! Geh endlich zur Seite!«
Atschorek holte aus und versetzte Réka eine Ohrfeige, die sie nach hinten warf.
»Sei – still!«
»Was ist hier los?«, fragte Mattim.
Hanna war schon bei ihrer Freundin und zog sie hoch, aber es war nicht Rékas Verhalten, das den Prinzen so beunruhigte. Er hatte seine Schwester noch nie so gesehen. Wie die armen Seelen oben auf der Straße schien sie von innen heraus zu glühen; nicht sichtbar, aber das Brennen erfüllte sie, ein Schmerz, der sich durch ihre sonst so kühle und gefasste Maske fraß und sie verzehrte. Das Gesicht, das übrig blieb, hatte wenig mit Atschoreks edlem Prinzessinnenantlitz gemein.
»Wir waren drüben.« Mit ihrer Stimme war ebenfalls etwas nicht in Ordnung. Was hatte sie in Magyria gelassen – ihre Hoffnung, ihr Glück, ihren Mut? Was auch immer da drüben geschehen war, es hatte ihr nicht gutgetan. Noch wagte Mattim nicht zu hoffen, dass Atschoreks Unglück etwas Gutes für Akink bedeuten könnte.
Sie war nicht in der Lage weiterzureden. Einer der anderen Schatten übernahm es daher, für sie zu berichten.
»Akink«, sagte er, und auch in seinen Augen stand das blanke Entsetzen. »Ein Ort voll Rauch, alles schien in Flammen zu stehen. Dunkelheit und Zorn gehen dort umher und suchen nach Beute. Sie haben uns nicht erkannt, und wir verteilten uns in den Straßen, um herauszufinden, was aus Prinz Kunun geworden ist. Dann hörten wir sie erzählen … Er lebt.«
Mattim schluckte. »Kunun lebt«, wiederholte er. »Sie haben ihn verschont?«
»Sie verkündeten es überall. Sobald die Schatten kämen, würden sie ihn verbrennen. Nur ein Verdacht, nur ein einziger Zwischenfall, nur ein Biss, nur ein Schatten – und es wäre sein Ende.«
»Da seid ihr hierher zurückgeschlichen, ihr Schlappschwänze?«, schrie Réka. »Und habt ihn nicht befreit? Was seid ihr eigentlich für Untertanen? Lasst mich endlich durch! Ich hole ihn da raus!«
Sie rannte gegen ein paar Schatten, die sie in Hannas Arme zurückstießen.
»Wie kann er so wichtig sein?« Atschorek richtete das Wort an Mattim. »Nur einer … Warum glauben sie, dass wir darauf etwas geben?«
»Ja«, erwiderte er, »wie können sie wissen, dass Schatten eine Ahnung davon haben, was Liebe bedeutet? Hast du es denn gewusst? Dass du genauso verloren bist wie ich?«
Atschorek, von der er immer geglaubt hatte, sie würde niemals um irgendjemand trauern – und nun stand sie vor ihm, so hilflos, so … menschlich. Nicht mehr die stolze Schönheit mit dem Wachsgesicht, mit dem modellierten Lächeln unter den dunklen
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