Magyria 02 - Die Seele des Schattens
möchte, dass du bei Réka bleibst.«
»Wilder kennt uns beide, Réka und mich«, erinnerte ihn Hanna. »Vielleicht können wir ja doch irgendetwas in ihm anrühren … Glaubst du wirklich, er ist nichts als ein Tier?«
Mattim dachte an Bela und seine erschreckende Veränderung. Bis zuletzt hatte er nicht glauben wollen, dass sein Bruder den Verstand verloren hatte.
»In dieser Welt ist es anders als in Magyria«, versuchte er zu erklären. »Hier verwandelt sich kein Mensch in einen Wolf. Ein Schattenwolf mit menschlichem Verstand verliert seine Persönlichkeit und wird zur Bestie. Es ist, als wäre es hier unmöglich, dass Mensch und Tier in einem Körper wohnen oder dass Menschen zu Tieren werden … Die Grenzen sind viel schärfer gezogen. Ich denke, es liegt an dieser Welt, die nach anderen Regeln funktioniert als Magyria. Das Leben lässt sich nicht so leicht in Träume verwickeln … Erklären kann ich es nicht. Jedenfalls müssen wir damit rechnen, dass Wilder nicht mit sich reden lässt.«
»Wir kommen trotzdem mit.«
Er wusste, dass es keinen Zweck hatte, Hanna das auszureden. Lieber hätte er sich nicht ausgerechnet jetzt daran erinnert, wie Kunun und Atschorek über Runia gesprochen hatten, ihre andere Schwester, die er nie kennengelernt hatte. Sie hatten sie damals erschossen … Würde er Wilder töten müssen, heute, um Akink zu retten? Um zu verhindern, dass der Wolf eine Pforte nach der anderen öffnete? Mattim konnte nur hoffen, dass er niemals vor dieser Entscheidung stehen würde.
Mit einem bangen Gefühl stieg er die Stufen ins unterirdische Reich hinunter.
An der Kasse blickte ihm und seinen Begleiterinnen ein extrem unglücklich wirkender junger Mann entgegen – war er nicht schon gestern Abend hier gewesen? Die hübsche Blondine an seiner Seite war dem Prinzen ebenfalls nur zu gut bekannt.
»Goran!«, rief er. »Wie sieht es aus? Ist Atschorek hier? Wie weit seid ihr?«
»Sie ist rüber«, teilte ihm Goran mit. Besorgt legte sie die Stirn in Falten. »Mit einem Trupp Schatten.«
»Durch die Kellerpforte?«
Goran schüttelte den Kopf. »Siehst du die Leute da?« Sie wies auf einen Nebenraum, aus dem Stimmengewirr drang. Mattim lugte um die Ecke. Unter der niedrigen Decke des Kellerraums saßen etwa ein Dutzend eifrig diskutierende Menschen – Touristen offenbar, deren Sprache Mattim nicht verstand. Erst bei genauerem Hinsehen fielen die Bisswunden auf – an der Hand eines älteren Mannes, am Hals einer molligen Rentnerin, am Bein einer jüngeren Frau, die schweigend in eine Tasse Tee starrte.
»Das sind Deutsche«, meinte Hanna erschrocken.
»Sie versuchen sich darüber einig zu werden, wer als Erster nach oben in die Morgensonne gehen soll, um zu beweisen, dass es alles Quatsch ist, was wir ihnen erzählt haben«, erklärte Goran. »Tibor hat sein Bestes gegeben, aber ich weiß nicht, ob er sich ausreichend verständlich machen konnte.«
»Ihr habt alle diese Touristen in Schatten verwandelt?«, fragte Mattim entsetzt.
»Wilder hat insgesamt elf Tore für uns geöffnet. Durch die ist Atschorek mit ihren Leuten nach drüben. Ich warte hier darauf, dass sie sich zurückmelden. Es kann jederzeit geschehen.«
Er musste sich zusammenreißen. »Übernimmst du das, Hanna? Ihnen zu erklären, wie sie sich verhalten müssen?« Für ihn hatte jetzt der Wolf Priorität. »Wo ist Wilder?« Zu spät , flüsterte es in ihm. Du bist zu spät, viel zu spät … Sie vernichten Akink, in diesem Augenblick. Sie beißen und verwandeln, beißen und verwandeln … » Nun sag schon, wo ist er?«
Goran wies auf den dunklen Eingang zum Labyrinth. »Irgendwo da drin. Weiß ich’s? Geh da lieber nicht rein. Nicht ohne einen Menschen, den du vorschieben kannst, wenn du ihn triffst. Dann hast du gleich einen weiteren Zugang … Mattim! Bleib stehen, die Kleine ist direkt hinter dir!«
Er drehte sich zu Réka um. »Beim Licht, bleib bei Hanna!«, beschwor er sie.
»Ich bin der Mensch, den du vorschieben kannst«, sagte sie.
»Ich werde ganz gewiss nicht zulassen, dass Wilder dich beißt!«
Réka starrte an ihm vorbei in die Dunkelheit. »Dort habe ich Kunun verloren, nicht wahr?«, fragte sie. »Wen kümmert es, ob auch ich verloren gehe?«
»Wilder? Wo bist du, Bruder?«
Seine Hand tastete nach dem Elektroschocker. All dies erinnerte ihn viel zu sehr an die Aufregung mit Bela in Kununs Haus. Wenn es nur eine Möglichkeit gegeben hätte, das zu umgehen … Wie würde sein Gesicht aussehen nach
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