Magyria 02 - Die Seele des Schattens
wir uns Akink.«
Hanna blickte in Miritas schönes Gesicht, in ihre himmelblauen Augen.
»Das ist nicht dein Ernst.«
Vor ihr lag die Stadt, die wuchtigen Türme, die Mauern, über denen ein leichtes Glimmen schwebte. Hinter ihr die Brücke, die sich im Dunkeln über dem Fluss verlor. Es war, als wären sie allein auf der Welt.
»Oh, da täuschst du dich aber. Wie kannst du es wagen, dich an den Prinzen von Akink heranzumachen?«
Der Pfeil lag ohne zu zittern auf der Bogensehne, die Spitze folgte jeder ihrer Bewegungen.
»Du bist keine Mörderin, oder?«
»Kriegerin des Lichts, das bin ich.« Mirita zog den Arm zusammen mit dem Pfeil nach hinten …
Hanna drehte sich um und rannte. Jeden Moment erwartete sie den schrecklichen Schmerz im Rücken. Gleich … und da teilte sich der Nebel, der über der Brücke lag, und aus der Wolke der Dunkelheit stürzte ein goldener Wolf heraus, hinter sich eine graue Sturzflut aus pelzigen Leibern.
Mirita schoss.
Der Pfeil sang. Hanna konnte ihn hören, das zischende Lied des Todes, dann prallte er dicht neben ihr gegen das steinerne Geländer der Brücke. Sie lief weiter, und da war auch schon der Wolf. Er sprang sie an, und gemeinsam stürzten sie zu Boden. Gleichzeitig schnellte der zweite Wolf, der riesige schwarze, in die Höhe, flog über sie hinweg – und begegnete dem zweiten Pfeil in der Luft. Mitten im Flug machte er eine ungeschickte Drehung und stürzte schwer auf die Steine. Hanna glaubte schon, er sei tödlich getroffen, aber da sprang er wieder auf und stürmte auf Mirita zu, die sich umdrehte und floh.
Die Flut der anderen Wölfe strömte an ihnen vorbei. Danach kamen die Schatten. Als Letzter schritt Kunun aus der Dunkelheit, ein wildes Lächeln im Gesicht. Er sah auf den Wolf und Hanna hinunter und schenkte ihnen ein anerkennendes Nicken.
»Der richtige Zeitpunkt, kleiner Bruder«, sagte er zufrieden. »Der absolut richtige Zeitpunkt.«
Als er vorbei war, stieß Mattim – der Wolf, der Mattim war, wie hätte sie daran zweifeln können? – einen Klagelaut aus. Sie streckte die Hand nach ihm aus, blickte in seine grauen Augen – ja, daran erkannte sie ihn, an seinen Augen. Was war erschreckender, dass sie ihr vertraut vorkamen oder fremd, oder beides zugleich?
»Mattim«, sagte sie. Es fühlte sich nicht mehr an wie die Wirklichkeit. Ein Traum hatte sich über sie geworfen wie ein Fangnetz, aus dem sie nicht entkommen konnte. »Oh, Mattim, mein Lieber, das war es also?« Sie schlang die Arme um seinen Nacken, grub die Finger in sein dichtes, weiches Fell. So verhielten sie eine Weile, ohne sich zu rühren.
Dann stieß er wieder einen seiner merkwürdigen Laute aus. Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass er keine Worte mehr hatte, dass sie niemals wieder seine Stimme hören würde. Doch er schaute in Richtung Stadt, und sie verstand.
Sie hatten keine Zeit, um hier zu warten, dass der Albtraum sich auflöste und ihr den Jungen zurückbrachte, den sie liebte. Réka war noch irgendwo in der Burg, in den Händen des Lichts. Der König hatte immer noch eine Geisel.
»Schnell!«, rief sie. »Wir müssen Réka finden!«
Schnell, ja, wenn sie das hätte sein können! Mühelos lief er neben ihr, so viel schneller und kraftvoller als sie, auf diesen vier Beinen, die aus purer Kraft bestanden.
»Lauf! Warte nicht auf mich!«
Er warf ihr einen kurzen Blick zu und schnellte dann vorwärts, ein goldener Blitz, der in der Düsternis verschwand.
Hanna eilte ihm nach. Die Sorge um Réka hatte momentan oberste Priorität. Später würde sie um Mattim weinen, später würde sie vielleicht begreifen können, was geschehen war. Jetzt musste sie ihren Schützling aus der brennenden Stadt retten. Rauch schlug ihr entgegen, als sie Akink betrat. Aus den Gassen drang Lärm, ein Geschrei, das in den Ohren schmerzte. Sie wandte sich nach rechts; vielleicht konnte sie zur Burg gelangen, ohne sich durch das schlimmste Getümmel den Weg bahnen zu müssen. Sie stolperte über das raue Pflaster und hielt sich an einer Hauswand fest, um tief durchzuatmen – da sah sie aus einer Nische eine Gestalt in einem grauen Mantel treten, eine Kapuze tief über dem Gesicht. Hanna erkannte die Frau sofort, ein flüchtiger Blick genügte.
»Warten Sie!«, rief sie. »Bitte!«
Die Gestalt im Mantel drehte sich nicht um, sondern hastete weiter, einen Pfad hoch, der wahrscheinlich zur Burg führte. »Nicht da entlang, oh bitte! Warten Sie auf mich!«
Hanna nahm all ihre Kraft
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