Magyria 02 - Die Seele des Schattens
sich bereits der Morgen an, ein fahler Strich am Horizont eines weiteren düsteren Tages. Farank wandte sich zu ihnen um und musterte sie ungerührt. Alt wirkte er nicht. Ein Mann, stark bis zum letzten Atemzug. Ein kühler Luftzug strich durch sein Haar. Das Licht flammte in ihm auf, spiegelte sich in ihm und vervielfachte sich.
»Der letzte Tag«, sagte der Lichtkönig ruhig. »Der allerletzte. Falls es euch nicht doch in den Schädel will, dass wir alle verlieren werden, wenn ihr das Licht auslöscht. Das ist nicht allein meine Niederlage. Es ist eure. Akink wird verlöschen, endgültig und für immer.«
»Du irrst dich, Vater«, sagte Kunun. »Es wird neu geboren. Es wird aus der Dunkelheit neu entstehen, ein anderes, sanfteres Licht. In einer Stadt, die Raum für uns alle hat. Wir sind hier, um erlöst zu werden.«
»Du Narr«, sagte der König verächtlich. »Du lichtloser Narr. Selbst dein Verstand ist trübe. Du willst eine neue Stadt? Du willst ein neues Licht? Nichts davon wirst du bekommen. Nur Finsternis. Nichts als Finsternis.« Er lachte freudlos. »Aber ich werde mich nicht einreihen in die Geschöpfe der Dunkelheit.« Plötzlich hielt er einen Dolch in der Hand, edelsteinbesetzt. Das Licht brach sich auf der messerscharfen Klinge, ein schmaler Streifen Glanz. »Ihr bekommt mich nicht lebend.«
Sie stürzten alle vorwärts, Wölfe und Schatten, und im selben Moment hörten sie eine Frauenstimme schreien: »Beißt ihn nicht! Nein! Beißt ihn nicht!«
Hanna und Mirita kamen die Treppe hoch, hinter ihnen Réka.
Bela, schwarz wie eine wolkige Nacht, schob sich leise wie ein Schatten heran.
»Beißt ihn nicht! Es wird alles finster, wenn ihr …«
Rékas Schmerzensschrei unterbrach sie.
»Macht es aus!«, heulte sie. »Macht das Licht aus! Es brennt!«
Die Wölfe wandten den Mädchen das Gesicht zu, Kunun und Atschorek starrten sie an.
»Beißt ihn nicht«, sagte Hanna unbeirrt. Sie richtete den Blick auf Mattim, auf den herrlichen goldenen Wolf, der dem König am nächsten stand. »Weißt du noch, wie du gesund wurdest, wie das Licht die Narben geheilt hat? Er muss dich umarmen, Mattim. Er muss euch alle umarmen. Vielleicht reicht es sogar, um euch zurückzuverwandeln, wenn die Liebe nur groß genug ist.«
»Ach?« Kunun lachte spöttisch. »Nun, wie ist es, Vater? Möchtest du das tun? Willst du uns an dein Herz drücken und uns mit deinem Licht versengen?«
König Farank hob abwehrend die Hand. »Keinen Schritt näher!«
»Mach dir keine Sorgen«, sagte Kunun. »Wie du dir zweifellos denken kannst, geht es mir schon jetzt nicht wirklich gut in deiner Gegenwart. Deshalb werden wir das auch sofort beenden. Ah, ich wünschte, ich hätte mich ebenso leicht verwandelt wie du, Mattim. Na gut, wer von euch Wölfen will es tun? Du, Bela?«
»Mattim«, flüsterte Hanna. »Du weißt, dass ich recht habe.« Sie sahen einander an und wussten es beide. Alles, was gewesen war. Alles, was sie bis hierhergebracht hatte. Hier, beim Licht, war die einzige Hoffnung auf Erlösung.
Der goldene Wolf stimmte ihr mit einem Blick zu, dann wandte er sich dem König zu.
»Nein!«, schrie Farank.
»Sie Idiot!«, rief Hanna. »Er kommt nicht, um Sie zu beißen, sondern damit Sie ihn heilen!«
Mattim blickte in die Augen seines Vaters. Der König zögerte. Immer noch hielt er das Messer umklammert, so fest, dass die Sehnen an seinen Händen hervortraten.
»Er ist es, er ist Mattim … Und Sie lieben ihn. Wissen Sie das denn nicht mehr? Sie lieben ihn.«
Mattim hörte Hannas leise Stimme. Sie sprach aus, was er nicht sagen konnte, sie, die jeden seiner Gedanken teilte und jedes seiner Gefühle mit ihm durchlebte.
Mattim gab sich und alles, was er empfand, hinein in seinen Blick, als er langsam auf den König zuging.
»Wissen Sie noch, wie Sie beide auf der Brücke standen? Vor Ihnen das Land und der Fluss? Das ist Mattim, und Sie lieben ihn.«
Vater.
Da veränderte sich etwas in den Augen des Königs. Etwas ging darin auf … Farank streckte die Hand aus und beugte sich nach vorne.
Vorsichtig reckte Mattim den Kopf vor. Er sehnte sich nach der Berührung dieser Hand. So sehr nach der Hand seines Vaters. Nach dem Licht. Ja, auch das. Aber noch viel mehr nach diesem Mann und seiner Zuneigung. Es ging nicht um Licht und Schatten, um Mensch oder Wolf. Nur um Vater und Sohn. Mattim fühlte die Hand auf seinem Kopf, zwischen den Ohren. Er schob sich noch näher heran, in die Umarmung, in das Licht. Er fühlte es,
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