Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Magyria 02 - Die Seele des Schattens

Titel: Magyria 02 - Die Seele des Schattens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
Vom Netzwerk:
den Wolf zu denken. Sie sah nur den Jungen vor sich, den sie liebte, nur den Jungen mit den grauen Augen. Nie das Tier.
    Lass ihn gehen. Du hast ihn schon verloren. Was kann noch schlimmer sein? Es ist unwiderruflich. Er ist, was er ist. Du kannst ihn nicht erlösen. Die Wölfe wurden in den Wald geschickt, und es kann nie, nie wieder werden, was war. Nie. Es gibt keine Erlösung.
    Kununs Traum ist geplatzt.
    Sie konnte nicht schlafen. Die Tage drehten sich um Attila, den sie in die Schule brachte und wieder abholte, für den sie kochte und mit dem sie spielte. Er war ungewöhnlich brav in dieser Zeit, in der Mónika mit ungekämmtem Haar am Küchentisch herumsaß und nicht zur Arbeit ging, weil sie darauf bestand, das Telefon zu bewachen. Sie wollte daheim sein, wenn ein Anruf von Réka oder ihren Entführern oder der Polizei kam. Sie stürzte an die Tür, wann immer es klingelte, in der Hoffnung, ihre Tochter könnte davorstehen. Ferenc stritt darüber mit ihr.
    »Komm endlich wieder zu dir! Es nützt Réka gar nichts, wenn du dich gehen lässt! Gar nichts! Mach dir die Haare, und geh in die Musikschule, sonst bist du deinen Job bald wieder los!«
    »Du kannst das nicht verstehen«, sagte Mónika leise.
    »Ach, nein? Zufällig ist es auch meine Tochter, die verschwunden ist!«
    Gleich würden sie wieder laut werden. Hanna nahm Attila bei der Hand und führte ihn schnell in sein Zimmer.
    »Du wolltest doch noch aufräumen.«
    »Ja.«
    Nie zuvor hatte er Ja gesagt, wenn es ums Aufräumen ging. Nie hätte er an ihrer Seite geduldig sein Spielzeug sortiert.
    Sie wuschelte ihm durchs Haar.
    Eine Traumstadt für einen Jungen. Attila. Er würde nie erfahren, dass sie für ihn eine Bresche in Akinks Verteidigung geschlagen hatte. Dass das der erste Schritt gewesen war auf dem Weg, der Réka dazu gebracht hatte, sich von Wilder beißen zu lassen. Eine Traumstadt für einen Jungen. Eine Schwester für einen Bruder.
    » Ich bin fertig«, sagte er. »Erzählst du mir jetzt eine Geschichte?«
    Die ersten Worte überraschten sie selbst. Es war nicht eine der Geschichten, die sie ihm normalerweise erzählte, aber es war die erste, die ihr in den Sinn kam. Es war die Geschichte, die sie jede Nacht träumte, die die Stimme ihr ins Ohr flüsterte, damit sie sie auf keinen Fall vergaß.
    »Vor langer Zeit, als Magyria noch voller Zauber war, das Land der Magie, pflegten die Menschen hin und wieder die Grenzen von Traum und Wirklichkeit zu überschreiten …«
    Die Geschichte der Wölfe. Der Dunkelheit und des Lichts. Diese Geschichte, die sie nie wieder loswerden würde.
    »… und der Wolf wurde größer und größer und heulte noch immer in den Nächten nach ihm. Da grub der Mann einen Graben und sammelte Wasser darin, bis es ein großer, breiter Strom wurde, damit der Wolf ihm nicht nahe kommen konnte.«
    Attilas Augen wurden groß, so gebannt hörte er zu. »Gruselig«, flüsterte er.
    »Der Mann und sein Mädchen bekamen Kinder. Ein Kind, hell und strahlend wie das Licht, und eins, das war ein Wolf.« Die Stimme wollte ihr versagen. Mattim …
    »Die jungen Wölfe warf er hinaus in die Dunkelheit.«
    Nein , dachte sie, nein, nein!
    Es war ihre Geschichte. Und sie durfte nicht wahr sein. Sie musste anders ausgehen. Nicht so!
    »Die Söhne und Töchter des Lichts aber standen an der Mauer und blickten zum Wald hin, als wäre dort alles, wonach sie sich sehnten. Da geschah es, dass eines Nachts wieder ein Wolf in jenes andere Land geriet, das nur einen Lidschlag von unserem entfernt war, und dort ein Mädchen fand, schöner als der Morgen, ein Mädchen voller Licht, das nicht vor ihm erschrak. Traurig wandte er sich ab, denn er konnte sein Fell nicht abwerfen. Da rief das Mädchen den Wolf zu sich. Sie streckte die Hände nach ihm aus und hielt ihn fest. Er biss sie nicht in ihre weißen, bloßen Arme, sondern hielt still, obwohl sie alles war, wonach es ihn verlangte. Da beugte sie sich vor und küsste ihn auf die Stirn und sagte: ›Nimm teil an meiner Seele.‹ Da erhielt der Wolf einen Teil ihrer Seele und wurde ein Mensch.«
    Hanna schwieg. Sie starrte auf eine kleine Ritterfigur auf dem Teppich, die Attila übersehen hatte.
    »Geht es noch weiter? Ist es zu Ende?«
    »Ja«, sagte sie, »das ist das Ende. Sie lebten glücklich und zufrieden, und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. So enden Märchen nun einmal.«
    Der Wolf erhielt einen Teil ihrer Seele und wurde ein Mensch …
    » Und wenn es möglich

Weitere Kostenlose Bücher